Der Polizistenmörder
man konnte damit lediglich Zündblättchen knallen lassen.
»Feines Ding«, lobte Martin Beck. »So eine hätte man als Junge haben sollen.«
Im Polizeikorps war es allgemein bekannt, daß Lennart Kollberg sich weigerte, eine Waffe zu tragen. Die meisten Kollegen meinten, daß seine Weigerung auf eine Art Pazifismus zurückzuführen war und darauf, daß er mit gutem Beispiel vorangehen wollte, denn er war einer der eifrigsten Befürworter, wenn es darum ging, daß während des normalen Dienstes grundsätzlich keine Waffen getragen werden sollten.
Das war zweifellos richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Martin Beck war einer der wenigen, die die tiefere Ursache von Kollbergs Abscheu gegen das Waffentragen kannten.
Lennart Kollberg hatte einmal einen Menschen erschossen. Die Angelegenheit lag mehr als zwanzig Jahre zurück, aber er konnte sie nicht vergessen, und es war nun schon Jahre her, seit er sich entschlossen hatte, auch bei kritischen und gefährlichen Aufträgen keine Waffe zu tragen. Der Vorfall datierte aus dem August 1952, als Kollberg im zweiten Revier auf Söder in Stockholm Dienst tat. Am späten Abend waren sie vom Gefängnis Längholmen aus alarmiert worden, wo drei Bewaffnete einen Gefangenen zu befreien versucht und dabei einen Wärter angeschossen und verletzt hatten. Als der Mannschaftswagen, in dem auch Kollberg saß, beim Gefängnis eintraf, hatten die Männer bei ihrer Flucht ein Brükkengeländer oben auf der Västerbron gerammt, und einer der Männer war festgenommen worden. Die anderen beiden waren in den Längholmspark an der anderen Seite der Brückenverankerung entkommen. Man setzte voraus, daß beide Männer bewaffnet waren, und da Kollberg als guter Schütze galt, wurde er einer Gruppe von Polizisten zugeteilt, die den Auftrag hatte, den Park zu durchkämmen und die Männer zu umstellen.
Mit der Pistole in der Hand war er hinunter zum Wasser geklettert und dann dem Ufer gefolgt, um aus dem Lichtschein oben von der Brücke herauszukommen, dabei strengte er die Ohren an, und seine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Nach einer Weile war er an einer Felsenplatte stehengeblieben, die in die Fahrrinne hinausragte, hatte sich hinabgebeugt und die Hand ins Wasser getaucht, das weich und lauwarm war. Als er sich aufrichtete, peitschte ein Schuß, und er hatte gespürt, wie das Geschoß seinen Jackenärmel streifte, bevor es einige Meter weiter im Wasser aufschlug. Der Mann, der geschossen hatte, befand sich irgendwo im Dunkeln zwischen den Büschen auf dem Hang über ihm. Kollberg hatte sich sofort vornüber geworfen und war in die schützende Strandvegetation hineingerobbt. Dann hatte er begonnen, nach oben auf den Felsblock zuzuknechen, der sich schräg über dem Platz befand, an dem er den Schützen vermutete Als er bei dem großen Stein ankam, sah er auch richtig die Figur des Mannes, die sich gegen die offene, hellere Fahrrinne abzeichnete. Er stand nur etwa zwanzig Meter entfernt, halb zu Kollberg hingewendet, mit der Waffe schußbereit in der rechten Hand, und drehte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Hinter ihm ging es steil hinunter zum Riddarfjärden.
Kollberg hatte sorgfältig auf seine rechte Hand gezielt. Gerade als sein Finger den Abzug betätigte, tauchte plötzlich eine Gestalt neben dem Mann auf, genau in der Schußlinie, und verschwand wieder ebenso plötzlich den Abhang hinunter.
Kollberg begriff nicht gleich, was geschehen war. Der Mann begann zu laufen, und Kollberg schoß noch einmal und traf ihn diesmal in die Kniekehle. Dann ging er hinüber und blickte die Böschung hinab.
Da unten am Rand des Wassers lag der Mann, den er getötet hatte. Ein junger Polizist vom selben Revier, zu dem auch er gehörte. Sie waren oft miteinander auf Streife gewesen und hatten sich außergewöhnlich gut verstanden.
Die Angelegenheit war vertuscht worden, und Kollbergs Name wurde in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt. Offiziell war der junge Polizist von einem unglücklichen Schuß getroffen worden, einem Querschläger, der während der Jagd auf den gefährlichen Verbrecher irgendwoher gekommen war. Der Chef hatte Kollberg eine kleine Ansprache gehalten, in der er ihn vor allzu vielen Grübeleien und Selbstvorwürfen warnte und abschließend darauf hinwies, daß selbst Karl XII. einmal aus Versehen seinen Stallmeister und guten Freund erschossen hatte. Ein Unglücksfall, der jedem unterlaufen konnte. Und damit sollte die Sache aus der Welt sein,
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