Der Portwein-Erbe
erzählte, dass man nach Friedrichs Tod an seine Lebensgefährtin herangetreten sei, doch die hätte sie an ein Maklerbüro
verwiesen. Alle Verhandlungen seien in Porto geführt worden. Für den Kauf der Weinberge existiere bereits ein Vorvertrag und
ein Abkommen, dass die Arbeiter der Quinta do Andrade die notwendigen Arbeiten in jenen Weinbergen ausführen würden, die sie
übernehmen wollten. Auf |343| den schlechter bewerteten Lagen würde man Subunternehmen einsetzen. Deshalb also hatten sie diese Weinberge verkommen lassen.
»Sie wollen weitermachen, nach all dem, was Ihnen zugestoßen ist?« Meyenbeeker sah Nicolas ungläubig an. »Wieso sind Sie so
versessen darauf?«
Nicolas quälte sich aus dem Sessel hoch, die anderen sahen ihm nach, wie er die Bibliothek aufschloss und mit einer Schallplatte
wiederkam, die er auf den Plattenspieler legte. »
The harder they come, the deeper they fall . . .
«, sagte er, und Jimmy Cliff sang. »Natürlich mache ich weiter!« Er würde es nur schaffen, wenn er seine Angst überwand. Nein,
das war keine Angst, das war schlimmer, es war Furcht, tief in ihm, ein Entsetzen, dem er bislang nie begegnet war, dieser
Zustand, anderen absolut ausgeliefert zu sein, nicht mehr über das eigene Leben bestimmen zu können. Damit ihm nicht von Neuem
übel wurde, sprach er schnell weiter: »Außerdem hat mich Friedrich vor seinem Tod um etwas gebeten.«
»Vor seinem Tod?«, fragte Meyenbeeker, und nur Otelo schien zu wissen, wie es in Nicolas aussah. Er blickte ihn ernst an,
dann hellte sich sein Gesicht auf.
»Das war es, was ich an deinem Onkel geschätzt habe, Nicolau. Selbst in ausweglosen Situationen hat er nicht aufgegeben. Sie
waren vier, damals, wir waren zwei, ich lag am Boden. Ich glaube allerdings, dass ihn genau das das Leben gekostet hat.«
Meyenbeeker wollte wissen, was er damit meine, weil auch Pereira angedeutet habe, dass Friedrich keines natürlichen Todes
gestorben sei.
»Sie kriegen Ihre Story, Senhor Meyenbeeker, gedulden Sie sich noch zwei Tage, spitzen Sie Ihren Bleistift oder laden Sie
den Akku fürs Laptop. Wie ich weiß, haben auch Sie Erfahrung in derartigen Angelegenheiten.«
Meyenbeeker machte ein langes Gesicht. »Woher . . .?«
|344| Otelo schmunzelte. »Man hat Freunde, man verlässt sich aufeinander, man informiert und vertraut sich. Freundschaften, die
in schwierigen Situationen geschlossen werden, halten ein Leben lang. Eine derartige Freundschaft hat mich mit Frederico Hollmann
verbunden«, er schaute kurz zu Nicolas. »Wir haben harte Zeiten durchgemacht, Zeiten, in denen es darauf ankam, verschwiegen
zu sein. Das betrifft mehr die politische Seite. Und auch wenn Freunde anders denken und handeln als wir selbst, wenn die
Wege mal auseinandergehen – eine echte Freundschaft führt wieder zusammen. Zweckgemeinschaften brechen, Kollegen verlieren
sich aus den Augen, Netzwerke reißen, Ehen gehen in die Brüche, Familien verursachen Neurosen, die Freundschaften helfen,
sie zu heilen.«
Nicolas fiel plötzlich auf, dass Pereira nicht mehr dabei war, er hatte ihn noch gesehen, als er gekommen war.
»Der ist nach Porto zurückgefahren«, erklärte Meyenbeeker, »um die Autopsie von Friedrich in die Wege zu leiten. Das hat es
hier, wie er meinte, noch nie gegeben, dass man einen Toten ausgegraben und untersucht hat. Ich habe mit Ihrem Vater gesprochen,
ob er zustimmen würde . . .«
»Was haben Sie? Mit meinem Vater? Sind Sie wahnsinnig? Halten Sie den da raus . . .« Nicolas war aufgesprungen und schrie
die letzten Worte.
Meyenbeeker sah ihn an wie einen Kranken. »Was glauben Sie eigentlich, was hier los war, als Sie verschwunden waren? Meinen
Sie, wir haben untätig auf unseren Ärschen gesessen?« Auch er war lauter geworden. »Die Polizei hat uns abgespeist, Sie kämen
schon irgendwann wieder. Dann haben wir über Ihre Mutter Ihren Vater erreicht, der anscheinend über weitreichende Verbindungen
verfügt. Glauben Sie, die Polizei bewegt sich, wenn ein reiches Jüngelchen mal zu spät nach Hause kommt? Kurz bevor Sie kamen,
hat sich die Kripo verabschiedet. Da müssen Sie übrigens morgen hin . . .«
|345| »Um wieder ein sinnloses Protokoll aufzunehmen, wie bei dem gestohlenen Auto? Was meinst du, Otelo, ich sag einfach du . .
.«
Der Angesprochene nickte. »Du musst hingehen, aber wir sprechen deine Aussage ab. Wenn du so weit bist, wenn du es dir zutraust,
erzählst du mir alles, was
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