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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Baracken hausten oder genug zu essen hatten, war ihm gleichgültig.
    Die junge Dame für die Büroarbeit, Senhora Lourdes, erwähnte Pereira zuletzt. »Sie spricht mittelmäßig Englisch, erledigt
     die Korrespondenz und Bestellungen. Einer der Arbeiter spricht sogar Deutsch, er war einige Jahre in Köln als Arbeitsemigrant.
     Halten Sie sich an ihn. Er heißt Adão oder Antão. Sie werden eine perfekt eingespielte Mannschaft vorfinden, Ihr Onkel war
     ein guter Organisator.«
    Nicolas wurde schwindelig. Dass er zehn Leute kommandieren sollte, machte ihm die Annahme des Erbes schwierig.  |68| Er hatte nie im Leben Anweisungen gegeben und erst recht nicht bei Dingen, von denen er weniger verstand als alle anderen.
     Vorsichtig formulierte er die entscheidende Frage. »Wissen die Mitarbeiter von der testamentarischen Regelung, dass im Falle,
     dass ich nicht . . .«
    Dr. Pereira unterbrach ihn mit einer Handbewegung, die etwas konfus wirkte, da er mit der anderen Hand die Krawatte lockerte
     und den Kragenknopf öffnete. »Die Sache bleibt vertraulich, bis Sie die Entscheidung getroffen haben. Niemand weiß davon.«
     Er wischte sich mit einem weißen Taschentuch über den fast kahlen Schädel.
    »Auch nicht seine Lebensgefährtin, diese Madalena Barbalho, von der Sie sprachen?« Nicolas musste sich konzentrieren, um den
     Namen richtig auszusprechen.
    »Sie ist informiert. Sie war bei der Testamentseröffnung anwesend. Ihr Onkel hat sie mit einer guten Lebensversicherung abgefunden,
     um Schwierigkeiten zu vermeiden. Außerdem hat sie das Wohnhaus nebst Grundstück geerbt, in dem die beiden zuletzt wohnten.
     Es liegt am selben Hang, ein Stück oberhalb der Quinta, von dort aus hat sie alles im Blick.«
    Der Unterton von Dr. Pereiras letzter Bemerkung gefiel Nicolas gar nicht, es klang arrogant. Wenn die Frau mit Onkel Friedrich
     gelebt hatte, musste man das respektieren, und dass sie Anteil an der Quinta nahm, war nach einem gemeinsam verbrachten Jahrzehnt
     allzu verständlich. Dann wird sie ihn kennengelernt haben, kurz nachdem ich bei ihm gewesen bin, oder er kannte sie damals
     bereits, dachte Nicolas. Den Eindruck eines alternden, vereinsamten Mannes hat er nicht gemacht, im Gegenteil. Sollte er Pereira
     fragen, was dieser Missklang bedeutete, oder wäre das indiskret? Der Nachlassverwalter sprach weiter, und über das, was er
     sagte, hatte Nicolas sich in den vergangenen Tagen häufig Gedanken gemacht.
    »Mit Wirkung zum 1. Januar 2004 hat Portugal die Erbschaftsteuer |69| abgeschafft. Da kommen keine Kosten auf Sie zu. Und was den Betrieb der Quinta angeht, so haben wir eine rechtliche Konstruktion
     gefunden, bei der Sie bis zur endgültigen Inbesitznahme als eine Art Geschäftsführer und Treuhänder fungieren. Wenn Sie also
     zustimmen und sich die Zeit nehmen wollen, die Quinta kennenzulernen, den Weinbau und unser Land, müssen wir Sie beim Portweininstitut
     als Produzenten und
engarrafador
anmelden, als Abfüller.«
    Pereira erklärte, dass Friedrich Anfang der Achtzigerjahre mit der Produktion von Weintrauben begonnen, dann die Trauben selbst
     verarbeitet und Portwein produziert hatte. Als Portugals Gesetze an die der Europäischen Gemeinschaft angeglichen wurden,
     durfte er ab 1986 seinen Portwein selbst abfüllen und vermarkten. Das war bis dato den
shippers
aus Vila Nova de Gaia vorbehalten gewesen, Portwein durfte nur von dort aus verkauft werden. Friedrich war einer der Ersten
     in der Region, der die neuen Gesetze zu nutzen verstand, als das Monopol fiel.
    »Sie kennen Vila Nova . . .?«, fragte Pereira.
    Nicolas berichtete von seinem Rundgang durch die Lagerhallen und von der Weinprobe mit Carlos.
    »Da haben Sie einen ungefähren Eindruck vom Geschäft. Ihr Onkel hat auch, als das noch keine Mode war, bereits Tischweine
     produziert, aus den überschüssigen Trauben. Viele andere haben sie verkauft und tun es bis heute.«
    »Seine Weine habe ich in Berlin entdeckt«, sagte Nicolas. »Na, sehen Sie? Was Besseres kann Ihnen gar nicht passieren. Seine
     Weine sind überall, natürlich nur kleine Mengen. Qualitätsweine gibt es immer nur in beschränktem Umfang.«
    Nicolas hatte eine andere Frage lange vor sich hergeschoben, er erinnerte sich an einen der ersten Gedanken, den er nach dem
     Gespräch mit Hassellbrinck gehabt hatte: ob Friedrich ihm das Erbe zugeschanzt hatte, um ihn, den |70| Sohn seines Bruders, in eine Falle tappen zu lassen. »Wie ist die wirtschaftliche Situation des

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