Der Portwein-Erbe
Eigentum Friedrich Hollmanns einfach so in die Hand drücken
würde. Er brauchte einen Moment, um in seiner Verwirrung den Arm auszustrecken, und sah zum ersten Mal hinter der Brille seines
Gegenübers die lebhaften dunklen Augen des Portugiesen, die sonst von dicken Gläsern verzerrt wurden.
»Wie ich bemerke, sind Sie sehr verwirrt. Das ist verständlich, es kommt alles sehr plötzlich.« In Pereiras Gesicht erschien
ein mitfühlender, doch auch belustigter Ausdruck. »Ein Risiko ist nicht dabei. Mein ehemaliger Klient hat für alles gesorgt.
Sie werden lediglich Ihre Arbeit in Berlin aufgeben müssen, falls Sie die Kellerei übernehmen. Aber wie ich Sie verstanden
habe, liegt Ihnen sowieso nicht so viel an Ihrem momentanen ... an Ihrer momentanen Tätigkeit«, verbesserte er sich. »In der
für die endgültige Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit, also bis zum 30. Oktober, erhalten Sie monatlich Zuwendungen
in Höhe von 3500 Euro, sozusagen Ihr Gehalt als Geschäftsführer. Sie haben auch das Recht, das persönliche Eigentum des Erblassers
zu nutzen, dürfen jedoch nichts veräußern. Sollten |66| Sie das tun, erlischt dieser Vertrag mit sofortiger Wirkung, und Sie sind vom Erbe ausgeschlossen. Die geschäftlichen Transaktionen
wie Weinverkäufe bleiben davon selbstverständlich unberührt.« Dr. Pereira blätterte in seinem Tischkalender. »Ein guter Portwein
ist immer eine Investition in die Zukunft. Am besten beginnen Sie gleich heute. Wir stehen kurz vor der Weinblüte, die Weichen
für diesen neuen Jahrgang müssen gestellt werden, Einflechten, Ausbrechen und Spritzen stehen in diesem Monat an . . .«
»Ich glaube nicht, dass ich in Bezug auf den Wein oder den Vertrieb irgendeine Entscheidung treffen kann, höchstens eine Flasche
aufmachen.«
Dr. Pereira lächelte nachsichtig. »Es will gekonnt sein, einen uralten Portwein mit einer heißen Zange zu öffnen, den Hals
genau an der richtigen Stelle zu brechen, im übertragenen Sinn natürlich.« Jetzt lachte er laut über Nicolas’ erschrockenen
Ausdruck. »Machen Sie sich keine Sorgen. Fehler sind so gut wie unmöglich, außer wir bekommen schlechtes Wetter. Sie finden
die beste Unterstützung, die man sich denken kann. Senhor Otelo Gomes hat mit Ihrem Onkel das Weingut aufgebaut, er war derjenige,
der etwas vom Wein verstand, als Sohn von Weinbauern. Er ist kein studierter Fachmann, das gab es damals nicht. Er hat sich
allerdings zu einem ausgezeichneten
provador
entwickelt, dem Verkoster; er ist sozusagen die Zunge und der Gaumen des Weingutes. Er entscheidet über die Weine, wann sie
gelesen werden, wie sie ausgebaut werden, wie man sie verschneidet, wie lange und unter welchen Bedingungen man sie lagert,
er stellt die Tawnys zusammen. Das geschah stets im Dialog mit Ihrem Onkel, aber letztendlich entscheidet der
provador
, von welchen Jahrgängen ein Late Bottled Vintage oder eine Colheita gemacht wird. Seine Entscheidungen haben sich als richtig
erwiesen. Denken Sie daran. Außerdem sind da noch die anderen Mitarbeiter, insgesamt zehn.«
|67| Pereira runzelte die Stirn. »Ich lasse Ihnen eine Liste mit Namen und jeweiligen Funktionen der Mitarbeiter machen. Da sind
einmal der Hausbesorger, Senhor Roberto und seine Frau. Dona Firmina ist eine ausgezeichnete Köchin, also achten Sie auf Ihr
Gewicht. Ihr Onkel ist in letzter Zeit dick geworden. Vielleicht war das nicht gut für sein Herz. Dona Firmina ist ein wenig
wunderlich, aber sie ist wichtig. Lassen Sie sich von ihrer Erscheinung nicht täuschen. Dann gibt es den Verwalter, Vasco
Gonçalves, über ihn kann ich nichts sagen, er arbeitet erst seit letztem Jahr dort, er ist zuständig fürs Administrative und
fürs Marketing. Wichtig sind auch der Kellermeister, sein Gehilfe und die Arbeiter im Weinberg.«
36 Hektar Weinberge in Steillagen gehörten zur Quinta, erklärte Pereira, da fiel eine Menge Arbeit an. Außerdem wurden Weintrauben
zugekauft, also wurde mehr verarbeitet, als auf den eigenen Weinbergen wuchs. Friedrich hatte Arbeiten wie Rebschnitt oder
die Anlage neuer Weinberge oder Neupflanzungen von Fremdfirmen besorgen lassen, von
empreiteiros
, wie Pereira sie nannte.
Das hatte für Nicolas einen schalen Beigeschmack. Auch sein Vater arbeitete mit Fremdfirmen, Subunternehmern, die ihren Kroaten
oder Rumänen zwei Euro die Stunde zahlten oder gar nichts. Sein Vater lehnte dafür jede Verantwortung ab. Ob die Bauarbeiter
in
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