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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bringen sollen? Man hatte ihm ein Weltbild mitgegeben, das mit der Wirklichkeit in keiner Weise übereinstimmte.
     Bei mir war es ähnlich. Entscheidend war für ihn als Architekten, was dem Frankfurter Häuserkampf vorausging. Ihre Familie
     war darin ... verstrickt? Er hat auf der anderen Seite, auf der Straße, aktiv mitgemacht, er hat damals die opportunistischen
     Wege von Cohn-Bendit und Joschka Fischer vorausgesehen. Der Letztere war für ihn ›der größte Opportunist der Nachkriegsgeschichte‹.
     Die politische Richtung war für ihn eine Frage des Charakters und nicht des Parteiprogramms. Mit der Rote Armee Fraktion kam
     für ihn die nächste Katastrophe, damit begann der Niedergang der westdeutschen Linken. Alle beeilten sich damals, der Gewalt
     abzuschwören, als ob sie dadurch ihre Gegner besänftigt hätten. Es war für die Konservativen ein gefundenes Fressen. Wie gesagt,
     der Widerspruch zwischen dem Weltbild und der Wirklichkeit, Ideologie und Realität. Denken Sie darüber nach, junger Mann.
     Ich werde Sie auf der Quinta besuchen, dann reden wir weiter – über Portugal und unsere Revolution, die baute übrigens auf
     Gewalt auf, auf der Macht der Hauptleute und Obristen. Die Winter |73| am Rio Douro sind lang und einsam. Sie werden eine grandiose Bibliothek vorfinden. Sie werden da oben viel Zeit haben, und
     stellen Sie sich das alles nicht leicht vor. Auch von Ihnen werden Opfer verlangt.«
    Welche sollten das sein, fragte sich Nicolas, nach dieser perfekten Vorbereitung? Wenn er sich auf das Abenteuer einließe,
     könnte er zu Frankfurt weiter auf Abstand gehen, vielleicht würden sie dann kapieren, dass mit ihm nicht zu rechnen war. Aber
     mit Wein hatte er nichts zu tun, und das war das Problem. Außerdem wäre er wieder nur der »Erbe«. Genau aus dem Grund war
     er aus Frankfurt geflohen. Nichts würde er aus eigener Kraft erreichen, keine Häuser bauen, keine Visionen umsetzen, nichts
     bewegen. Aber welche Visionen? Was wollte er bewegen? Seine Vorstellungen waren unklar, noch orientierten sie sich an Vorbildern
     wie Gropius, Calatrava und Hundertwasser und der Suche nach »ökologischen Lebensformen«. Über die Gestaltung von Landschaft
     hatte er sich wenig Gedanken gemacht, außer über Stadtlandschaften für Autos wie in Brasiliens Hauptstadt. Sollte es Zeit
     dafür sein? Wenn er sich an die Berge am Rio Douro erinnerte, an die Quinta do Amanhecer ... noch umgab sie mehr Nebel, als
     dass die Morgendämmerung begonnen hätte.
    »Eines ist mir noch nicht klar«, murmelte er nach einer längeren Pause, Pereira beobachtete am Fenster stehend den Verkehr
     auf der Avenida. »Wieso hat er alles so penibel vorbereitet? Es hat immer geheißen, er sei ein Freak gewesen, ein Chaot, spontan,
     uneinsichtig, flatterhaft. Sie kannten ihn, Dr. Pereira. War er denn krank? Stirbt man einfach so, über Nacht?«
    »Alles ist möglich«, sagte der Anwalt seufzend. »Chico war gerade 60 geworden, nicht mehr der Jüngste, zwei Jahre älter als
     ich. In diesem Alter kann es einen jeden Tag erwischen. Aber am Herzen?« Pereira schüttelte den Kopf. »Nein, er war gesund.
     Möglich, dass er irgendein Leiden |74| für sich behalten hat, aus Scham vielleicht, oder er wollte niemanden beunruhigen. Auch Dona Madalena war von seinem Tod völlig
     überrascht. Sie hatten ein gemeinsames Schlafzimmer, sie ist morgens aufgewacht, da lag er neben ihr, rührte sich nicht. Sie
     hat für meine Begriffe recht überlegt gehandelt und ist nicht hysterisch schreiend durchs Haus gerannt, sondern hat sofort
     den Arzt gerufen, ja, und der hat nur noch den Tod festgestellt. Chico muss irgendwann in der Nacht gestorben sein, im Schlaf.
     Ist es nicht das, was wir uns alle wünschen, neben dem ewigen Leben?«
    Einerseits wollte Nicolas zustimmen, andererseits wehrte er sich gegen einfache Erklärungen; so mir nichts, dir nichts abzutreten,
     das gefiel ihm nicht, aber war es nicht generell Friedrichs Art gewesen? So soll es gewesen sein, als er aus Frankfurt abgehauen
     ist, sang- und klanglos, allerdings mit einem Blick zurück im Zorn, wie sein Vater meinte. Nur wusste Nicolas bis heute nicht,
     ob der in Bezug auf seinen Bruder die Wahrheit sagte oder ob er damals über sein Weggehen froh gewesen war. Er hatte nicht
     zu teilen brauchen, Friedrich hatte auf Millionen verzichtet.
    »War es nicht grauenhaft für seine Frau, neben einem Toten aufzuwachen? Ich stelle mir das schrecklich vor.«
    »Sie wird darüber

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