Der Portwein-Erbe
macht
mit Ihnen, was er will. Sie sind dem Geschäft gar nicht gewachsen. Außerdem haben Sie einen spannenden Beruf und wie ich weiß
auch den entsprechenden Hintergrund. Sie sind nicht der Aussteigertyp wie Ihr Onkel.«
Was der Doktor sagte, verstimmte Nicolas. Oder hatte er recht? Jedenfalls gefiel es Nicolas nicht. Und woher wusste Veloso
von seiner Familie? Wahrscheinlich durch Friedrich, hier wusste man viel über den Nachbarn.
|174| Sie waren mit den Vorspeisen fertig, und ein junger schwarzer Ober räumte das Geschirr ab. Dem Arzt gefiel irgendetwas daran
nicht. Er ließ den Inhaber des Restaurants an den Tisch kommen. Von ihrer leise und in freundlichem Ton geführten Unterhaltung
verstand Nicolas nur das Wort
negro
und
africano
, es tauchte mehrmals auf, die Blicke gingen zwei- oder dreimal in die Richtung des jungen Schwarzen. Der Inhaber wurde ernst
und verließ verärgert den Tisch. Nicolas sah ihm nach, wie er zu dem Kellner ging, der ausdruckslos herüberstarrte, und ihm
etwas zuflüsterte.
»Früher haben sie auf uns geschossen und unsere Frauen und Kinder ermordet, damit wir ihr Scheißland verlassen«, knurrte Dr.
Veloso verächtlich und sah zu dem jungen Schwarzen hin. »Heute kommen sie her und betteln uns um jeden Scheißjob an«, sagte
er, »weil sie nichts zu fressen haben in ihrer wunderbaren Heimat. Wir müssen sie auch noch aus dem Mittelmeer fischen und
ernähren. Ist das gerecht? Haben Sie gedient?«
»Nein, ich habe Zivildienst geleistet, im Krankenhaus. Das müsste Ihnen als Arzt doch gefallen.«
Veloso sah Nicolas verständnislos an und zog sein Hemd aus der Hose. An der Hüfte und am Rücken kamen verwachsene Narben zum
Vorschein.
»Verbrannt, mein Freund, am Oberschenkel auch. Eine Mine. Ich war stundenlang im Jeep eingeklemmt, rechts und links haben
sie gekämpft, bis sie uns ausgeflogen haben. Ich war als Arzt in Angola, drei Jahre Krieg, drei Jahre lang habe ich Kameraden
zusammengenäht – oder ihnen mit Morphium den Übergang erleichtert, wenn nichts mehr zu machen war. Ein Scheißkrieg. Wir haben
ihn nie mit der richtigen Überzeugung geführt, nicht mit dem Bewusstsein unserer Überlegenheit, nicht mit dem Willen zum Sieg.
Wir haben dieselben Fehler gemacht wie unsere amerikanischen Freunde, die haben in Vietnam sogar ein Jahr vor uns |175| aufgegeben. Die Heimat hat uns aufgegeben, hinter allem standen die Kommunisten, in Afrika, in den USA, diese angebliche Flowerpower-Bewegung
– und bei uns hatten sie sogar die Streitkräfte unterwandert. Sonst wäre es nie zum 25. April gekommen. Selbstbestimmungsrecht,
Nationalgefühl? Das hat der Schwarze nicht, der denkt, wenn er denkt, in Stämmen. Sehen Sie sich an, wie es bei denen zugeht.
Als wir noch dort waren, in Angola und in Mosambik, gab es eine Entwicklung. Aber die Schwarzen untereinander? Die haben sich
schon früher gegenseitig an die Weißen verkauft.«
»Und als der Krieg vorbei war?«, fragte Nicolas vorsichtig.
»Mir war Portugal zu chaotisch, nur Stress, Debatten, keiner wusste, wo es hingehen sollte, keine Führung. Unser General Spinola
wurde kaltgestellt. Jeder machte, was er wollte. Ich habe das Chaos genutzt, bin in die USA gegangen und habe mich beruflich
fortgebildet. Für einen verantwortungsvollen Arzt wie mich ist so etwas unerlässlich. Die medizinische Forschung in Amerika
ist Europa um Lichtjahre voraus.« Veloso atmete heftig, die Worte hatten ihn sehr bewegt.
»Ach, daher haben Sie den amerikanischen Akzent«, sagte Nicolas und fragte sich, ob er einem Rassisten oder einem traumatisierten
Kriegsopfer gegenübersaß. Aber auch wenn die Vergangenheit den Arzt derart bewegte, war Nicolas über dessen unbeherrschten
Ausbruch doch erstaunt. »Der 25. April – ich dachte, das ist Portugals Nationalfeiertag, zur Erinnerung an die Befreiung von
der Diktatur.«
Veloso rümpfte die Nase. »Diktatur? Hier gab es keine Arbeitslager, im Gegensatz zur Sowjetunion, keinen Gulag, keine Folter,
keine Erschießungen. Es war ein autoritäres Regime, das mag manch einer so sehen, aber bei dem Bildungsstand der Bevölkerung
war Portugal damals gar nicht |176| zur Demokratie fähig. Das ist es ja heute kaum. Wer konnte lesen und schreiben? Die Bauern hier, die bei Ihnen da oben in
den
lagares
den Wein treten? Ihre Unfähigkeit haben sie im Alentejo bewiesen und die besetzten Kooperativen runtergewirtschaftet. Da
haben ihnen auch Politkommissare wenig
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