Der Portwein-Erbe
kam erst am folgenden Mittwoch zum Treffen. Nicolas hatte den Tag über Akten, Lehrbüchern und vor dem Rechner verbracht,
und ihm rauchte der Kopf. Deshalb war er über die Abwechslung sehr erfreut. Die Mitarbeiter hatten Feierabend gemacht und
waren nach Hause gefahren. Nicolas saß auf der Gartenmauer und überlegte, dass er dringend einiges zum Anziehen brauchte,
als der Arzt in seinem großen blauen BMW unten am Tor hielt und hupte. Es war auf Nicolas’ Anweisung hin geschlossen, er wollte
verhindern, dass noch mehr Wein beiseitegeschafft wurde.
Nicolas ging zum Tor, Veloso war ausgestiegen. »Was sind das für Methoden, Senhor Nicolau? Ist das Ihr Vertrauen zur lokalen
Bevölkerung? Damit machen Sie sich keine Freunde. Das wird auch Dona Madalena nicht gefallen. Aber wie Sie meinen, Sie müssen
wissen, was Sie tun. Steigen Sie ein, ich hoffe, Sie haben guten Appetit mitgebracht.«
Während der Fahrt schlug Dr. Veloso mehrere Restaurants vor, eines im »Hotel Régua« mit Blick über den Fluss, eines direkt
unten am Fluss, ein anderes war hoch über der Stadt und ein viertes im Zentrum, es sollte die beste Küche haben. Gutes Essen
war Nicolas wichtiger als der Ausblick, den hatte er täglich.
|172| »Dann kommt nur das ›Cacho d’Oiro‹ in der Rua Branca Martinho infrage. Sehr gute regionale Küche.«
Das Restaurant in einer Seitenstraße von Régua war nicht besonders geschmackvoll eingerichtet, lange Tische standen in einem
kühl wirkenden Saal, davor unbequeme Stühle. Am meisten störte Nicolas, dass es kaum Fenster gab; das Etablissement glich
einem aus der Mode gekommenem Veranstaltungssaal, wo die freiwillige Feuerwehr einmal jährlich mit ihren Familien feierte
– und anschließend wurde getanzt.
Die Auswahl der Speisen und des Weins überließ er Veloso. Der ließ ein wenig von allem bringen: Bacalhau, dazu Schinkenbällchen,
am offenen Feuer gebratene Würste und einen Teller mit Oliven als Vorspeisen. Es war einfach und gut. Dazu tranken sie einen
Alvarinho, die Edeltraube des Minho, ein aromatischer Weißwein aus dem nördlichsten Zipfel Portugals. Er war für diesen heißen
Abend wohl genau das Richtige. Was wusste der Doktor über seinen Onkel?
»Nicht viel, ich kannte ihn kaum, unsere Wege haben sich selten gekreuzt. Viele Winzer leben in Porto, da werden die Geschäfte
gemacht. Wie vor 100 Jahren kommen sie her, um die Lese zu überwachen oder um die Quinta ihren Geschäftsfreunden und Kunden
vorzuführen. Der Unterschied zwischen den Portweinhäusern und den Winzern ist enorm. Jemand wie Ihr Onkel war ein Unikum,
einer, der wie ein Eremit auf dem Berg lebte. Es war sein Glück, dass er diese Frau gefunden hat. Übrigens, wenn Dona Madalena
bald zurückkommt – schließlich ist seit dem Tod Ihres Onkels mehr als ein Monat vergangen –, wird Sie Ihre Hilfe brauchen.«
Hatte Veloso bisher mehr Interesse auf die Speisekarte verwendet, so blickte er Nicolas jetzt eindringlich an.
»Sie wird Sie brauchen, wie wir alle auf unsere Nachbarn angewiesen sind. Wir Portugiesen sind sehr hilfsbereit. Sie |173| sind besonders wichtig, weil Sie zur Familie gehören. Fremden gegenüber ist man immer etwas reserviert. Geben Sie auf Dona
Madalena acht, kümmern Sie sich um sie. Bei Fremden fällt mir dieser
provador
ein. Treibt der noch immer sein Unwesen? Er stammt von hier, ein alter Stalinist, einer von der härtesten Sorte. Der war
auch im Gefängnis. Das waren Zeiten, sage ich Ihnen, nach dem 25. April. Was damals los war, kann man sich heute nicht vorstellen.
Wir sind nur knapp einer kommunistischen Diktatur entgangen. Dieser Freund Ihres Onkels hat einen üblen Ruf. Er ist einer
von den ewig Gestrigen, die ihre Niederlage nie verwunden haben.«
»Gibt es ihn noch?«, fragte Nicolas, der nach Dr. Velosos Enthüllungen besser nicht erwähnte, dass er den
provador
brauchte.
Veloso griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck. »Ich glaube, der gehört immer noch dazu. Ist er noch nicht aufgekreuzt?
Das wundert mich. Nehmen Sie meinen Rat an, halten Sie sich von ihm fern. Aber wahrscheinlich werden Sie das Vergnügen nicht
haben, allzu lange werden Sie ja wohl nicht bleiben, wie ich annehme.«
»Wieso das? Wie kommen Sie darauf?« Nicolas ärgerte sich. Wieso waren alle der Meinung, dass er bald wieder abreisen würde?
Veloso lehnte sich entrüstet zurück. »Sie sind weder Winzer noch Agronom oder Önologe. Was wollen Sie dann hier? Jeder
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