Der Portwein-Erbe
Personalakte des Arbeiters ist, der Deutsch spricht . . .«
|182| »Bitte, beruhigen Sie sich.« Pereira hob die Hände. »Hier in Portugal erreichen Sie mit Höflichkeit mehr. Es nutzt nichts,
wenn Sie sich aufregen oder die Leute beschimpfen.«
»Bin ich nun der Chef hier oder Gonçalves?«
Pereira zog ihn beiseite, bis sie außer Hörweite waren. »Was nutzt es dem Kapitän, wenn die Mannschaft meutert, Nicolas?«
»Ziehen Sie meine Worte in Zweifel, Herr Rechtsanwalt?«
Pereira atmete tief durch. »Sie verstehen mich nicht. Ich rate Ihnen lediglich, sich zu mäßigen. Wenn Sie sagen, dass die
Fässer leer waren, dann waren sie das. Finden Sie jemanden, der gesehen hat, wie man sie leerte oder heimlich auffüllte. Dann
ist Gonçalves dran. Wenn Sie sagen, dass der Wein ohne Rechnung abgegeben wird, dann glaube ich Ihnen natürlich. Haben wir
uns verstanden? Und kümmern Sie sich um die Dinge, von denen Sie was verstehen. Lernen Sie unsere Sprache, lernen Sie Ihre
Nachbarn kennen, die helfen Ihnen. Gewinnen Sie Vertrauen, nur so kommen Sie weiter. Ist das zu viel verlangt?«
Während der Rückfahrt vibrierte Nicolas vor Wut, während der Inspektor mit Pereira plauderte.
»Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich an mich«, sagte der Inspektor zum Abschied.
»Ich glaube, dass er ahnt, was gespielt wird, Nicolau. Er steht auf Ihrer Seite. Alles beginnt mit einem Verdacht, aber ohne
Beweise kommen wir nicht aus. Und was Sie mir von diesem Dr. Veloso erzählt haben – es ist so, dass viele von uns weder die
Kolonialkriege noch die Nelkenrevolution verarbeitet haben. Mich hat man übrigens zum Töten nach Mosambik geschickt, als Wehrpflichtigen.
Es war die Hölle. Nach meinem Urlaub können wir uns gern mal drüber unterhalten. Lesen Sie das Buch von António Lobo Antunes,
›Der Judaskuss‹. Ihr Onkel hat es bestimmt, es bringt das Entsetzen auf den Punkt, ist allerdings nichts für schwache |183| Nerven. Der Autor war übrigens auch Arzt, wie Dr. Veloso. Also,
tudo de bom para você
, alles Gute für Sie. Kopf hoch, lassen Sie es ruhig angehen und lernen Sie! Und finden Sie Otelo.«
Hatte Nicolas bislang Pereira als ruhigen Pol gesehen, als Ratgeber und Hilfe, so hatten ihn das Gespräch und sein Verhalten
auf der Quinta völlig durcheinandergebracht. Er glaubte ihm, aber auf der Quinta hatte er auf Gonçalves’ Seite gestanden.
Oder hatte er ihn in Sicherheit wiegen wollen? Denn letztlich hatte er Nicolas indirekt aufgefordert, seine Nachforschungen
fortzusetzen.
Um seinen Frust loszuwerden, machte Nicolas eine Einkaufstour. Er hatte nichts mehr anzuziehen und scheute sich, Dona Firmina
seine Kleidung zum Waschen zu geben. Sie machte auch sein Bett, was er seit Kindestagen nicht mehr erlebt hatte. Anderseits
war es ziemlich bequem. Außerdem graute es ihm davor, nach dem Gesichtsverlust Gonçalves gegenüber auf die Quinta zurückzukehren.
Er klapperte mehrere Geschäfte ab, kaufte alles Nötige, darunter ein Paar feste Stiefel, denn ihm stand die Erkundung der
Weinberge bevor. Er musste wissen, was es mit dem entlassenen Arbeiter auf sich hatte und wer die Arbeiter im Weinberg waren.
Als er zurückfuhr, schlug er einen anderen Weg ein. Kurz hinter Peso da Régua hatte er an der Straße zwischen Weinstöcken
einige Arbeiter entdeckt. Er hielt in der Nähe der Gruppe, grüßte und sah ihnen eine Weile zu. Jeweils zwei Mann gingen nebeneinander
durch die Rebzeilen, brachen kurze grüne Triebe ab und flochten die längeren zwischen Drähte oberhalb der Weinstöcke. Auf
einer anderen Terrasse unterblieb das Einflechten, die Weinstöcke breiteten sich ohne Drähte buschartig aus.
Zurück auf der Quinta ging er direkt in die Bibliothek und fand in einem der Nachschlagewerke die Gründe für das eben Gesehene
aufgeführt: Das Aufstellen oder Einflechten der Triebe sollte sie vor dem Abbrechen schützen, |184| die Beschattung des Stockes und des Bodens verhindern und die Bodenbearbeitung erleichtern. Diese Arbeit musste mehrmals im
Jahr wiederholt werden, damit später genügend Licht an die Blätter gelangte, um die Fotosynthese zu ermöglichen. Fotosynthese
war sein nächstes Stichwort. Bei diesem Prozess assimilierte der Weinstock mithilfe des Blattgrüns Kohlendioxid aus der Luft
und bildete Kohlehydrate – so entstand der Zucker in den Trauben, der bei der Gärung mittels der Hefen in Alkohol verwandelt
wurde. Bei einer bestimmten Lichtmenge und
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