Der Portwein-Erbe
zusammenbrach.
»
Escuta
, hören Sie, Nicolau. Wie wär’s, wenn wir essen gingen? Ich erzähle Ihnen ein wenig von uns, von den Menschen hier, und ich
zeige Ihnen Peso da Régua. Viel gibt es nicht, aber auf jeden Fall mehr als bei Ihnen da oben. Ein Mann wie Sie wird sich
zu Tode langweilen, allein auf dem |169| Berg. Sie werden sich in dieser Einöde nach Ihrem Leben in Berlin völlig verloren vorkommen.«
Nicolas’ Blick fiel auf den Hund. »Ich bin so beschäftigt, dass mir der Gedanke daran gar nicht in den Sinn kommt, Doktor.
Aber Ihre Einladung nehme ich gern an.«
»Außerdem sind caseiros wohl kaum der richtige Umgang für Sie. Entschuldigung, ich meine das Ehepaar, die Köchin und ihren
Mann. Sie werden sich ja nicht fürchten, aber verdammt einsam ist es doch, oder?«
»Da muss ich Ihnen recht geben, Doktor . . .«
»Nennen Sie mich nicht Doktor, ich heiße Filipe.«
»Gut, Senhor Filipe, wann wäre es Ihnen recht?«
Veloso schlug vor, ihn am nächsten Tag um die Mittagszeit abzuholen. »Und genießen Sie das Wochenende. Was haben Sie vor?«
»Ich arbeite mich ein . . .«
»Wie? Sie arbeiten? Wozu haben Sie Gonçalves? Ein Mann wie Sie sollte das Leben genießen. Erkunden Sie die Gegend. Wir haben
mittelalterliche Baudenkmäler in der Umgebung. Beginnen Sie mit Lamego, es ist nicht weit, zwanzig Minuten höchstens. Für
einen Architekten muss das großartig sein. Die Burg wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts gebaut und auch die Kathedrale und
der Santuário, Barock pur, äußerst interessant. Gönnen Sie sich was, wiederholen Sie nicht unsere Fehler. Nun gut, es waren
damals andere Zeiten.« Veloso bekam einen sehr ernsten Ausdruck in der Stimme. »Wir mussten aufbauen, Portugal lag am Boden,
wir hatten schlimme Kriege hinter uns, verlorene Kriege, viele unserer besten . . .«
»Und noch eine Bitte, Dr. Veloso«, unterbrach ihn Nicolas, den der Ausflug in die Geschichte im Moment wenig interessierte.
»Es gibt in Peso da Régua sicher eine Zeitung.«
»Wir hatten uns auf Filipe geeinigt«, meinte Dr. Veloso zuvorkommend. »Eine Zeitung? Ja, natürlich, weshalb?«
|170| Nicolas bat ihn, eine Anzeige wegen eines Portugiesischlehrers aufzugeben.
»Wozu das? Auf der Quinta spricht man Englisch, und Sie wollen sich doch nicht hier niederlassen, oder?«
»Nein, keineswegs«, antwortete Nicolas, »aber es hilft, die Geschäftsabläufe zu begreifen.«
»Das hat nur Sinn, wenn man so was täglich macht«, meinte der Arzt schroff.
»Da habe ich wenigstens abends was zu tun«, sagte Nicolas, »und mir fällt das Dach nicht auf den Kopf.«
»Ich nehme Ihnen das gerne ab, es ist mir ein Vergnügen. Also,
então – até amanhã
, bis morgen . . .«
Dona Firmina hatte Nicolas morgens in der Küche den
guisado
gezeigt, eine Art Eintopf aus geschmortem Schweinefleisch, Paprikaschoten und Oliven. Sie hatte Nicolas bedeutet, sich das
Essen warm zu machen. Den Gasherd in Gang zu setzen war nicht das Problem, vielmehr wusste er nicht, welchen Wein er dazu
trinken sollte. Er entschied sich für einen aus der Region mit einem ellenlangen Namen: Casa de Casal de Loivos. Als Produzent
war van Zeller angegeben. Also war Friedrich nicht der einzige Ausländer hier gewesen, aber es gab so viele fremde Namen,
sicher waren sie portugiesische Staatsbürger wie Friedrich.
Nicolas holte aus der Bibliothek das Büchlein ›Weine degustieren‹ und hielt sich an den empfohlenen Ablauf. Erst einmal die
Farbe: ein schönes Rot in Richtung Kirsche, dicht und klar, aber nicht vollkommen durchsichtig. Er roch sauber und war intensiv,
da war Würze und Frucht – mithilfe dieses Büchleins und den Vorgaben war es einfacher, sich dem Wein zu nähern. Nur wie sollte
er Säure und Tannin, also die Gerbsäure, beurteilen? Leicht, mäßig und stark war vorgegeben, zusätzlich musste man angeben,
ob die Tannine feinkörnig, grob, spröde oder gut eingebunden |171| waren. Das war noch zu viel für ihn. Er spürte das Tannin zwar, aber es störte ihn nicht, war nicht zu stark – also gut eingebunden?
Er musste mehr probieren, mindestens täglich. Sicher gehörte auch hier die Übung dazu. Die Probe mit Carlos war hilfreich
gewesen, da hatte er die Weine nebeneinander probieren und vergleichen können. Dann sollte er jetzt den Wein von gestern dazunehmen.
Dr. Veloso rief noch einmal an und verschob die Verabredung auf den Abend, er müsse einen wichtigen Termin wahrnehmen. Aber
es
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