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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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genutzt. Und von den Bauern will man verlangen, dass sie politisch richtige Entscheidungen
     treffen?«
    Der Restaurantbesitzer stand mit der Weinkarte neben dem Tisch und sah unbewegt auf Dr. Veloso herab. Nicolas machte ihn darauf
     aufmerksam.
    »Wie möchten Sie weitermachen? Wir haben heute Tintenfischfilet, gebratenen Kabeljau, ein schönes
cozido
, geschmortes Rindfleisch – oder wie wär’s mit Innereien? Zicklein hätten wir auch, im Ofen gebacken, mit gebratenen Kartoffeln?«
    Nicolas hasste politische Debatten beim Essen. Auch Happe hatte diese blödsinnige Angewohnheit, der Tischgesellschaft damit
     den Appetit zu verderben. Aber ihn interessierte das Thema. Sicherlich würde er in Friedrichs Bibliothek Bücher mit einer
     differenzierteren Sicht auf die jüngste Geschichte finden. Auch was der Arzt über Otelo gesagt hatte, gefiel Nicolas nicht.
     Wenn der
provador
ein so windiger Typ gewesen wäre, wieso hatte Pereira ihn empfohlen? Jetzt musste er Veloso von diesem Thema abbringen. Nicolas
     ließ sich vom Wirt ausführlich die Zubereitung der einzelnen Gerichte erklären, was der mit ausgesuchter Höflichkeit tat,
     und Veloso musste übersetzen. Dann entschied er sich für den Ziegenbraten und für einen kräftigen Rotwein von einem Winzer,
     der in der Nähe ein Weingut betrieb, die Quinta do Vallado. In der Beschreibung auf dem Rückenetikett tauchten die üblichen
     Rebsorten wieder auf, neu war lediglich der Name der Rebsorte Sonsão.
    »Traditionellerweise sind bei uns die Weinberge mit mehreren Rebsorten bepflanzt«, erklärte der Wirt. »Manche |177| Weinbauern erkennen nicht, was bei ihnen wächst. Man kann in alten Anlagen bis zu zwanzig verschiedene Rebsorten finden. Insgesamt
     haben wir in Portugal ungefähr 80 Rebsorten, das macht unsere Weine unverwechselbar und authentisch.«
    Der Wein war von 2001. Er war in der Farbe dichter als der vom Tag zuvor, hatte einen vielseitigen Duft. Nicolas meinte, Schokolade
     zu riechen, mediterrane Gewürze und Lakritze,
liquorice
, wie er Veloso verständlich zu machen versuchte. Als der Arzt es begriffen hatte, steuerte er das portugiesische Wort dafür
     bei,
alcazçuz
. »Dem A am Anfang des Wortes nach zu urteilen ist es arabischen Ursprungs.«
    Über den Wein sprach Nicolas bedeutend lieber als über den Angolakrieg, und Veloso plusterte sich bei der Weinbeschreibung
     ein wenig auf. Als frisch und weich empfand er den Wein und keineswegs rau am Gaumen, was sicher mit dem Tannin zu tun hatte.
    Dr. Veloso staunte noch mehr, als Nicolas ihm erzählte, dass er das Verkosten erst hier gelernt habe. »Da machen Sie ja rasante
     Fortschritte.«
    Der Arzt ließ es nicht zu, dass Nicolas bezahlte, und brachte ihn zurück zur Quinta. Unterwegs fragte er ihn erneut, ob er
     allen Ernstes vorhabe, zu bleiben, denn was an Aufgaben und damit verbundenen Schwierigkeiten auf ihn zukommen würde, sei
     gar nicht zu überblicken. Sachlich gesehen hatte er recht, doch als Nicolas das Licht der Laterne über der Eingangstür sah
     und Perúss beim Aufschließen neben ihm stand, fühlte er sich zu Hause. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt dieses
     Gefühl gehabt hatte.
    Als die Mitarbeiter am nächsten Morgen eintrafen und Nicolas endlich aus Lourdes herausbekam, dass der Deutsch sprechende
     Arbeiter gekündigt hatte, war es mit dem Hochgefühl wieder vorbei. An seinen Namen, Antão Pacheca,  |178| konnte Nicolas sich erinnern. Er hatte ihn bei Durchsicht der Personalakten gelesen, aber nichts entdeckt, was auf Sprachkenntnisse
     oder einen Deutschlandaufenthalt hinwies. Er nahm die Personalakten zur Hand, um nach seiner Adresse zu sehen, aber unter
     Pacheca fand er nichts. Jemand hatte die Seiten verschwinden lassen.

|179| 9.
Gepanschter Wein
    Zwischen dem Besuch beim Steuerberater und dem Termin beim Portweininstitut blieb Zeit, und so setzten sich Nicolas und Dr.
     Pereira an einen Tisch in der Tür des Cafés in der Rua dos Camilos. Die wenigen Autos, die langsam durch die Einbahnstraße
     fuhren, störten kaum. Die Sonne schien, es ging ein leichter Wind, ein wunderbarer Tag – aber Nicolas fühlte sich angespannt.
     Das Gespräch mit Veloso ging ihm nicht aus dem Kopf, er ärgerte sich, dass er ihm nicht die Meinung gesagt hatte. Aber wozu?
     Mit traumatisierten Menschen, die jahrelang den Tod vor Augen gehabt hatten, ließ sich schwerlich diskutieren, und was wusste
     er von Afrika? So gut wie nichts. Außerdem war ihm nicht wohl bei dem

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