Der Portwein-Erbe
denn das Rot verschwinde zugunsten von Teefarben oder Bernstein.
Hier stünden nicht mehr die Aromen roter Früchte im Vordergrund, sondern die von gelbem Trockenobst neben Röstaromen und Gewürzen.
»Ihre Weine lagern hier am Douro und nicht in Vila Nova de Gaia, wo die anderen Portweinhäuser sind?«, fragte einer der Männer.
»Hier ist es doch viel zu heiß! Und es gibt Temperaturschwankungen, das ist nicht gut für den Portwein . . .«
|236| Nicolas hielt ihn für einen jener Besserwisser, die es in jeder Gruppe gab und die Fragen stellten, um mit eigenem Wissen
zu trumpfen. Er hatte sie auf Exkursionen während seines Studiums erlebt. Man musste sie vor allen anderen loben, damit sie
den Mund hielten.
»Wenn Sie so gut Bescheid wissen, dann ist Ihnen sicher aufgefallen, dass wir die Kellerei in den Berg gebaut haben und die
Wände angeschüttet sind. Stein und Erdreich halten gleichmäßig kühl, sicher haben Sie den Temperaturunterschied zwischen draußen
und drinnen bemerkt. Und die Außenmauern sind aus Stein. Fassen Sie mal an, wie kühl der ist.«
Nicolas atmete auf, sah zu Rita hin, die ihn dankbar anlächelte. Wahrscheinlich hatte auch sie ihre Last mit diesem Herrn.
Der Mann gab sich nicht geschlagen. »Wie oft füllen Sie die Fässer auf? Ich meine, damit die Mikrooxidation nicht . . .«
Nicolas unterbrach ihn. »Damit alle anderen verstehen, was dieser Herr meint – Oxidation ist die Reaktion eines Materials
mit Sauerstoff. Eisen oxidiert, aber auch jeder Wein, so auch Portwein. Unerwünschte Veränderungen treten ein, je größer der
Luftkontakt ist, desto schneller. Der Wein wird braun, sowohl die Gerbstoffe wie das Aroma verändern sich. Portwein soll langsam
und harmonisch altern. Deshalb füllen wir die Fässer immer wieder so weit wie möglich auf. Wie oft wir das tun, mein Herr?
So oft wie nötig . . .«
Die Gruppe hatte verstanden.
»Du erklärst gut«, flüsterte ihm Rita zu, als sie aus dem Flaschenlager heraufkamen.
»Habe ich erst letzte Nacht gelesen«, gestand Nicolas, »eigentlich erst heute Morgen um drei.«
Rita blickte ihn erstaunt an. So ganz verstand sie nicht, was hier geschah.
|237| »Ja, ich habe die Nacht über gebüffelt. Ich will mich nicht blamieren, das würde auf dich zurückfallen.«
Dona Firmina hatte den Tisch im Esszimmer festlich gedeckt, Nicolas sah es mit einem Anflug von Stolz. Auf sie konnte er sich
verlassen, er hoffte nur, dass ihm sonst niemand die Show verdarb. Er hatte Lourdes zum Essen gebeten, zum einen, um sie einzubeziehen,
zum anderen, um den Keil in der Belegschaft tiefer zu treiben. Sie wusste mehr, als sie ihm sagte. Außerdem sollte sie Gonçalves
beobachten. Nicolas musste wissen, was er plante. Sein Leben konnte davon abhängen. Und immer, wenn ein solcher Gedanke hochkam,
packte ihn für einen Moment die Angst. Jetzt zwang er sich zu lächeln: Rita war da.
Leider wollten die meisten der Gäste in seiner Nähe sitzen, deshalb fand sie nur am anderen Ende des Tisches Platz. Die Fragen,
die auf ihn einprasselten, verhinderten, dass er ihr die Blicke zuwarf, die seinen Gemütszustand zum Ausdruck hätten bringen
können. Er dachte an Fernando Pessoa, und obwohl er wusste, dass es ein längst verstorbener Autor war, fühlte er einen Stich.
Er hatte ein wenig im ›Buch der Unruhe‹ gelesen. »Ich bin die Ruinen von Häusern, die nie etwas anderes als Ruinen waren,
da man bereits während ihres Entstehens müde wurde, sie fertigzustellen.« Dieser Satz, vielmehr seine beängstigende Wahrheit,
hatte ihn tief bewegt. Fernando Pessoa, vielmehr sein Heteronym, der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, war ein trauriger Mann
gewesen.
Zum Geflügelsalat gab es einen Weißwein von van Zeller, der im Barrique vergoren und auf der Hefe ausgebaut worden war. Diese
Weine galten als haltbarer, der Geschmack hielt zwischen dem Aroma des Holzes und dem der Frucht die Waage, er war frisch
und doch weich und eleganter als andere, mehr säurebetonte Weißweine der Region, und er fand besonders bei den Damen der Reisegesellschaft
Anklang. Nicolas konnte sich nicht ganz mit ihm |238| anfreunden. Ihm war der Alvarinho lieber, von dem er einige Flaschen entdeckt hatte. Zum Hauptgericht, einem Fleischgang,
schenkte er Friedrichs besten Rotwein aus, die Cuvée aus Touriga Franca und Touriga Roriz. Er ging von einem Gast zum anderen,
was jedem gut gefiel, und auch den Jungwein brachte er zum Probieren. Das Etikett
Weitere Kostenlose Bücher