Der Portwein-Erbe
zum Essen eingeladen,
vorher hatte er sich im Pool abgekühlt und sich gefreut, dass der Arm wieder ihm gehörte, wenn er auch blass und dünn geworden
war. Doch für vorsichtige Schwimmstöße hatte es gereicht. Er hatte ihr dosiert von den Vorfällen berichtet, hatte sich an
Fakten gehalten, an das, was alle erfahren sollten. Er wusste nicht, wie sie wirklich zu Gonçalves stand, hatte die beiden
bislang nie miteinander gesehen. Sie begegnete dem Verwalter mit Desinteresse.
»Wir haben bereits einen Toten, das reicht, Nicolau. Bei so viel Pech sollte man ernsthaft darüber nachdenken, ob man am richtigen
Platz ist. Die Dinge geschehen nicht von ungefähr«, hatte sie anschließend gesagt. »Es ist immer schwer – und undankbar, anderen
Menschen einen Rat zu erteilen, glaub mir; man gibt Ratschläge stets aus seiner Warte, man rät meistens, was für einen selbst
gut wäre, statt aus der Sicht des anderen zu urteilen. Um dir einen wirklichen Rat zu geben, kenne ich dich zu wenig. Manche
Entscheidungen trifft man zu früh, das solltest du bedenken. Ich glaube nicht, dass es hier gut für dich ist. Mir wäre es
hingegen lieb, wenn du bliebest, zumindest für die Zeit, |234| die ich noch hier bin. Es ist – es war Fredericos Welt. Ich gehe nach Lissabon, zurück zu meiner Familie, wenn ich alles geregelt
und endgültig Abschied genommen habe. So ist es leider, ich muss es dir ganz klar sagen. Rechne nicht mit mir. Du wirst auf
dich gestellt sein. Übrigens, wir müssen demnächst dringend zum Steinmetz gehen, der Grabstein . . .«
Bis zu einem gewissen Grad hatte Nicolas auf sie gezählt, aber dass er sich allein durchschlagen musste war, war nichts Neues.
In der Familie Hollmann lebte jeder für sich. Wie lang war die Halbwertszeit einer Familie? Die erste Generation kämpfte,
die zweite baute auf, die dritte verwaltete und genoss, und die vierte verschleuderte den Rest. Das dauerte etwa 120 Jahre.
Wo stand er in dieser Reihe? Die Zeiten der Familienbetriebe waren vorbei, das Zeitalter der Heuschrecken war angebrochen.
Sein Thema war Friedrich und nicht die Quinta. Er musste es sich immer wieder sagen, denn ihr Alltag beanspruchte seine Zeit,
seine Kraft und sein Denken.
»Hi, Nico«, hörte er eine wunderbare Stimme sagen, und Rita, Lovely Rita, kam strahlend auf ihn zu. Eine Sommerbrise, ein
Hauch vom Meer, ein Eisbecher mit Früchten, an dem winzige, kühle Wassertropfen herunterliefen. Hinter Rita kam ihr Gefolge,
ihre Gäste, für einige Stunden auch
seine
ersten Gäste. Und wenn er später darauf angesprochen wurde, wann er sich entschieden hätte, Winzer zu werden, dann sah er
Rita vor sich und den Garten des »Vintage House«.
Der Besuch begann im Esszimmer mit einem Kaffee, einem Wasser und einer Begrüßung, die Nicolas sich zurechtgelegt hatte. Er
sprach von Friedrich Hollmann, der 1974 hierher ausgewandert sei – kurz nach der Nelkenrevolution.
Nach der Besichtigung der Gärhalle und Erklärung des Gärprozesses im
lagar
, wobei Nicolas geschickt seine Schwächen |235| umschiffte und die Wissenslücken mit dem stopfte, was er wusste, führte er seine Gäste ins Fasslager. Er erinnerte sich daran,
wie beeindruckend für ihn der erste Besuch gewesen war, und er wusste, wie wichtig der erste Schluck Portwein war. Wenn er
gefiel, gewann man Freunde fürs Leben, wenn nicht, war auf Jahre alles vorbei. Deshalb steuerte er auf das Fass zu, in dem
ein Port aus dem Jahr 1999 lagerte. Es war ein roter Wein, sehr fein, dezent alkoholisch, trotz seiner neunzehn Prozent. Nachdem
jeder probiert hatte, erklärte Nicolas, dass er dem eigenen Eindruck nicht vorgreifen wolle, aber man könne durchaus Pflaume
und Brombeere herausschmecken, vielleicht auch ein wenig Schokolade, Milchschokolade. Süße und Säure wären ganz gut ausbalanciert,
er empfinde ihn als schön weich. Das hier würde ein LBV. werden, ein Late Bottled Vintage. Er wäre jetzt so weit, elegant
und weich genug, dass man ihn abfüllen konnte. Befriedigt sah er das Kopfnicken seiner Zuhörer, und während er zum nächsten
Fass vorausging, schaute er diskret auf seinen Spickzettel.
Er wolle ihnen jetzt einen etwas älteren Wein vorstellen, der mal eine Colheita werden würde, oder ein Dated Port, wie es
auf Englisch hieß. Bei diesem Wein hätten sich die Aromen durch den minimalen Kontakt mit Sauerstoff im Fass erheblich gewandelt,
und auch an der Farbe könne man diesen Prozess erkennen,
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