Der Portwein-Erbe
Rebsorte
zu unterschiedlichen Zeiten reif. Wer will das beurteilen? Wer prüft Zucker- und Säurewerte? Wer entscheidet, ob die Trauben
auch physiologisch reif sind? Ich würde dir gern helfen, aber mir fehlt die Erfahrung. Die Verantwortung kann ich nicht übernehmen,
auch wenn ich die Zeit dazu hätte.
Und dann hast du Weinberge mit Mischbesatz. Verschiedene Rebsorten wachsen durcheinander, wie das früher immer so war. Die
Trauben reifen unterschiedlich, eine Rebsorte früher als die andere, aber gelesen und verarbeitet werden sie gemeinsam. Also
muss ein Mittelwert für die Reife festgelegt werden. Es gibt Erfahrungen aus den Vorjahren – dein Verwalter hat sie nicht,
die Kellerbücher sind verschwunden, und dein Kellermeister kennt die Weinberge nicht so gut, ohne
provador
bist du aufgeschmissen. Oder du verkaufst die Weinberge sofort oder die Trauben. Dann hast du allerdings nächstes Jahr keinen
Wein. Wenn du deinen Kunden nichts anbieten kannst, bedienen sie sich woanders, und du bist aus dem Geschäft, okay? Ohne Wein
kannst du den Laden dichtmachen. Also verkaufe!«
|244| »Das ist keine Lösung«, sagte Nicolas barsch.
»Ich denke, das Weingut gehört dir. Oder hol dir schleunigst einen guten Önologen. Ich kenne jemanden, der arbeitet auch für
einen Deutschen, doch das bliebe eine Notlösung. Der weiß nicht, was gewesen ist und was sein könnte, wie die Trauben waren
und wie sie werden können. Du hast dich verrannt, amigo, du hättest früher mit mir reden sollen.«
»Du hattest nie Zeit . . .«
»Gib nicht mir die Schuld. Du bist der Chef. Du solltest dringend diesen Pacheca auftreiben. Vielleicht weiß der mehr über
die Hintergründe, über das, was nach dem Tod deines Onkels geschah, und kann dir was über die Leute erzählen, die hier arbeiten.
Die erwarten Anweisungen, die wollen wissen, wie es weitergeht. Und noch etwas ist mir aufgefallen, gestatte mir ein persönliches
Wort: Du hast noch immer den Blick des Fremden, du siehst die Rebstöcke, aber du begreifst sie nicht. Und solange du das nicht
tust, werden sie dir auch nicht mitteilen, was sie brauchen, was ihnen fehlt, was sie nicht mögen und wovon sie genug haben.
Die Trauben sind das Entscheidende! Erst wenn du sie begreifst, dann kriegst du von ihnen, was sie geben können. Aus schlechten
oder mittelmäßigen Trauben wird nie ein guter Port, da kannst du ihn 100 Jahre im Fass altern lassen.«
So entmutigt wie nach dem Besuch von Carlos war Nicolas nicht einmal nach dem Armbruch gewesen. Der Bergrutsch hatte ihn in
Wut versetzt, hatte seine Lebensgeister angestachelt, ihm eine Ahnung von dem gegeben, was hier gespielt wurde, aber das Gespräch
mit Carlos war niederschmetternd gewesen. Wenn er das alles bereits als Student wusste, was würde ein erfahrener Önologe sagen?
Nach Carlos’ Ansicht war er also im Begriff, das Weingut zu ruinieren. Das sahen die Mitarbeiter wohl genauso. Dieser Besitz
war |245| eine Nummer zu groß für ihn, das war keine Weinbergromantik, das war harte landwirtschaftliche Wirklichkeit. Und er hatte
es vermasselt. Was blieb ihm anderes übrig, als vom Vertrag zurückzutreten? Pereira war sicher inzwischen aus dem Urlaub zurück,
er musste ihn sprechen und dann seine Entscheidung treffen, damit nicht alles den Bach runterging, vielmehr den Rio Douro.
Teufel, das musste Friedrich gewusst haben! Weshalb hatte er ihn in diese Lage gebracht?
Als Nicolas müde und niedergeschlagen am späten Nachmittag den Salon betrat, lag ein Zettel auf dem Tisch, darauf ein Name,
eine Straße in Peso da Régua und eine Hausnummer. Elektrisiert starrte er aufs Papier. Antão Pacheca. Nicolas drehte sich
auf dem Absatz um und ging zum Wagen. Er hielt nur kurz am Tor, da Perúss ihm hinterherrannte, und öffnete ihm die Wagentür.
Der Hund hatte den Bergrutsch vor ihm gespürt. Wer weiß, was er heute spürt, dachte Nicolas. Es kann eine Falle sein, überall
können Fallen sein, oder auch nicht. Wer hatte den Zettel hingelegt? Ich werde nicht danach fragen, sondern die Handschriften
mit denen in den Akten vergleichen oder mir von jedem was aufschreiben lassen. Eigentlich hatten nur Dona Firmina, ihr Mann
und die beiden Mitarbeiter im Büro Zugang zu seiner Etage. Aber auch der Kellermeister und sein Gehilfe konnten es gewesen
sein oder Dona Madalena. Wer hatte den Zettel gesehen – wer wusste, dass er jetzt unterwegs sein würde?
Doch es war keine Falle,
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