Der Präsident
An Einsamkeit wirst du bestimmt nicht leiden.«
Er musterte sie und fühlte leichten Schmerz, als er die Verwunderung in ihrem Gesicht sah.
»Sollte jemand fragen, so hast du mit mir Schluss gemacht. Ich war unter dem Niveau der Baldwins. Ihrer nicht würdig. Leb wohl, Jenn.«
Nachdem er gegangen war, stand sie noch gute fünf Minuten da. Verschiedenste Gefühle stritten sich um Ausdruck in ihrem Gesicht, keinem gelang es, die Oberhand zu gewinnen. Schließlich verließ sie das Zimmer. Das Klicken der hohen Absätze auf dem Marmorboden verlor sich, während sie die mit Teppich ausgelegte Treppe hinaufeilte.
Ein paar Minuten lang herrschte Totenstille in der Bibliothek.
Dann schwang der Schreibtischstuhl herum, und Ransome Baldwin starrte auf den Türrahmen, wo seine Tochter verschwunden war.
Jack spähte durch das Guckloch und erwartete fast, Jennifer Baldwin mit einer Pistole vor der Tür zu sehen. Als er den Besucher erkannte, zog er die Augenbrauen hoch.
Seth Frank trat ein, warf den Mantel ab und schaute sich anerkennend in Jacks chaotischem kleinen Apartment um.
»Oh, Mann, da werden Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wach, das kann ich dir sagen.«
»Lass mich raten. Studentenheim, so um 1975. Du warst Getränkewart und zuständig für den Biernachschub.«
Frank grinste. »Damit liegst du näher an der Wahrheit, als ich zugeben möchte. Genieß dieses Leben, so lange du kannst, mein Freund. Ich will ja nicht politisch inkorrekt klingen, aber eine anständige Frau wird eine derartige Lebensweise kaum erlauben.«
»Dann habe ich wohl Glück.«
Jack verschwand in der Küche und kam mit einem Pack Sam Adams zurück.
Die beiden machten es sich in der Sitzecke mit dem Bier bequem.
»Ärger im gelobten Voreheland, Anwalt?«
»Auf einer Skala von eins bis zehn, entweder eins oder zehn, je nachdem, wie man es betrachtet.«
»Wieso bloß habe ich das Gefühl, dass dir nicht die Tochter von Baldwin so zu schaffen macht?«
»Du kannst wohl nie aufhören, Bulle zu sein?«
»Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Willst du darüber reden?«
Jack schüttelte den Kopf. »Vielleicht heule ich dir ein andermal die Ohren voll, aber nicht heute Abend.«
Frank zuckte die Schultern. »Ruf einfach an. Ich bringe das Bier mit.«
Jack bemerkte das Päckchen auf Franks Schoß. »Ein Geschenk?«
Frank packte die Kassette aus. »Ich nehme an, irgendwo unter all dem Müll ist auch ein Videorecorder?«
Als das Band anlief, wandte sich Frank an Jack.
»Jack, das hier ist eindeutig nicht jugendfrei. Und ich sag’s dir gleich im Voraus, man sieht darauf alles, auch was mit Luther passiert ist. Kannst du es ertragen?«
Jack überlegte einen Augenblick. »Glaubst du, wir finden etwas, womit wir den Mörder schnappen können?«
»Das hoffe ich. Du hast ihn viel besser gekannt als ich. Vielleicht fällt dir etwas auf, das ich nicht bemerkt habe.«
»Dann kann ich es ertragen.«
Obwohl vorgewarnt, war Jack nicht darauf gefasst. Frank beobachtete ihn genau, während der entscheidende Augenblick näherrückte. Als der Schuss ertönte, sah er, wie Jack unwillkürlich zurückzuckte und das Gesicht abwandte.
Frank schaltete das Video aus. »Reiß dich zusammen, ich habe dich gewarnt.«
Vornübergebeugt saß Jack im Sessel. Sein Atem ging stoßweise, auf der Stirn standen kalte Schweißperlen. Ein Schauder durchlief seinen Körper, dann bekam er sich allmählich wieder in den Griff. Er wischte sich über die Stirn.
»O Gott!«
Flanders letzte Bemerkung über den Vergleich mit Kennedy war nicht abwegig gewesen. »Wir können auch aufhören, Jack.«
Jack presste die Lippen zusammen. »Einen Scheiß können wir!«
Erneut spulte Jack zurück. Mittlerweile hatten sie das Band etwa ein Dutzend Mal abgespielt, dennoch wurde es nicht leichter, mit anzusehen, wie der Kopf seines Freundes praktisch explodierte. Der einzig mildernde Umstand war, dass Jacks Zorn mit jedem Mal wuchs.
Frank schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich zu schade, dass der Bursche nicht in die andere Richtung gefilmt hat. Dann hätten wir vielleicht ein Bild vom Schützen bekommen. Aber das wäre wohl zu einfach gewesen. He, hast du Kaffee da? Ohne Koffein fällt mir das Denken furchtbar schwer.«
»Ich hab’ noch ziemlich frischen in der Kanne. Bring mir auch eine Tasse. Geschirr ist über der Spüle.«
Als Frank mit zwei dampfenden Tassen zurückkam, hatte Jack das Band zurückgespult; Alan Richmond hielt gerade seine demonstrative Rede auf dem
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