Der Preis der Ewigkeit
darin oder … oder so stark wie du.“
Wieder legte sie den Kopf an meine Schläfe und ihr Haar kitzelte mich am Hals. „Doch, das bist du. Du bist auf so viele Arten stärker, als ich es je gewesen bin. Trauer ist nicht gleichbedeutend mit Schwäche, Liebes. Wenn überhaupt, zeigt sie nur die Liebe, die du in dir trägst, und auf dieser Welt gibt es nichts, was stärker wäre. Ava wusste das besser als wir alle.“
An der Tür regte sich ein Schatten. „Deine Mutter hat recht, weißt du“, sagte Henry. „Am besten können wir Avas Andenken ehren, indem wir die Menschen in unserem Leben so sehr lieben, wie wir nur können. Das ist alles, was sie sich gewünscht hätte.“ Als er sich neben mir auf die Matratze sinken ließ, schenkte er meiner Mutter ein Lächeln. „Wie ich sehe, hast du meinen Sohn schon kennengelernt.“
„Er ist wunderschön“, antwortete meine Mutter, als Milo erneut wimmerte. „Er ruft nach dir, Kate.“
Noch einmal wischte ich mir mit den blutigen Ärmeln das Gesicht trocken, dann nickte ich. Meine Mutter legte mir Milo in die Arme und er schmiegte sich wie selbstverständlich an mich. Er war wärmer, als ich erwartet hatte, und auch schwerer. Suchend drehte er das Köpfchen in meine Richtung und barg das Gesicht an meiner Brust und ich hätte vor Glück zerspringen können.
„Genau so“, murmelte meine Mutter und verschob ein wenig meinen Ellbogen, sodass ich damit Milos Kopf stützte. „Siehst du … perfekt.“
„Sieh sich das mal einer an“, kommentierte James. „Du bist ja ein richtiges Naturtalent.“
Als Milo sich beruhigte, blickte er mit seinen großen blauen Augen aufmerksam zu mir auf. Was auch immer wir zuvor für eine Verbindung aufgebaut hatten, vervielfachte sich, und in diesem Moment veränderte sich meine gesamte Welt. Er war so perfekt, so unschuldig – ich würde die gesamte Ewigkeit damit verbringen, dafür zu sorgen, dass er die Chance hatte, auch so zu bleiben. Niemals würde er Krieg oder Hass oder den Schmerz von Verlust kennenlernen. Niemals seine Tage damit verbringen, die verbleibende Zeit eines geliebten Menschen verrinnen zu sehen. Niemals würde er sich einsam oder wertlos oder ungeliebt fühlen. Er würde in Glück und Zufriedenheit leben. In Frieden. Mit seiner Familie. Und er würde immer Henry und mich haben.
„Danke“, murmelte ich an James gerichtet, während mir eine Träne vom Kinn tropfte und mitten auf Milos Nase landete. Er verzog das Gesicht und Henry lachte leise.
Meine Mutter erhob sich. „Dann lasse ich euch drei mal allein“, sagte sie, und auch wenn sie lächelte, war der Kummer in ihrer Stimme noch immer zu hören. Ich war mir nicht sicher, ob er je ganz verblassen würde. Gemeinsam mit James verließ sie das Zimmer, hinter sich schlossen sie die Tür.
„Er sieht dir so ähnlich“, murmelte Henry. „Jedes Mal, wenn ich ihn im Arm hatte, habe ich nur dein Gesicht gesehen. Du hast mir gefehlt, Kate.“
Liebevoll strich ich Milo mit den Fingerknöcheln über die Wange. Er mochte meine Augen haben, aber das dunkle Haar hatte er von Henry. Und die Ohren. „Was immer auf dieser Insel zwischen dir und Calliope passiert ist …“
Er versteifte sich. „Kate, ich …“
„… spielt keine Rolle.“ Ich sah zu ihm auf. „Du hast getan, was du tun musstest, um Milo zu beschützen. Das weiß ich.“
Er streichelte mir den Rücken und drückte meine Schulter. „Es ist gar nichts passiert. Ava hat nie ihre Kräfte gegen mich eingesetzt. Ich habe die ganze Zeit über nur so getan, als ob.“
Ich lehnte mich vor und küsste ihn. Süß trafen seine Lippen auf meine, und ich ließ erst wieder von ihm ab, als Milo sich zwischen uns beschwerte. Wir wussten beide, dass er Calliope für seine Täuschung auf irgendeine Weise hatte überzeugen müssen, dass er sie liebte. Ein Teil von mir verspürte das brennende Bedürfnis, alles zu erfahren – doch das Wissen, dass er sie zu keinem Zeitpunkt geliebt hatte, war alles, worauf es ankam. Es spielte keine Rolle, und ich würde nicht zulassen, dass Calliope noch aus dem Grab heraus unserer Ehe schadete. Henry konnte mich anlügen, so viel er wollte. Es war eine weitere Art, mich zu beschützen und mich zu lieben, und solange er das tat, würde ich vorgeben, ihm zu glauben. Um ihn zu beschützen und zu lieben.
Wir waren eine Familie und niemand – nicht Calliope, nicht Kronos, nicht einmal der Tod selbst – konnte uns das nehmen.
20. KAPITEL
EWIG
Irgendwann im Laufe der Nacht
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