Der Preis der Ewigkeit
stattdessen bildeten sie einen Kreis um Ava, Nicholas und mich.
Walter erschien als Erster. Er ließ sich auf die zerbrochenen Steinplatten neben mir sinken und bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Zärtlich strich er ihr übers Haar, flüsterte Worte, die ich nicht hören konnte, und Ava lächelte schwach. Von seinen Händen ging ein seltsames Strahlen aus, und ich musste nicht fragen, um zu erkennen, dass er sie irgendwie am Leben hielt.
„Bitte, Mutter“, flehte Walter leise. Nie zuvor hatte ich ihn weinen sehen. „Deine Tochter kannst du nicht retten, aber meiner kannst du helfen.“
Alle Köpfe auf dem Dach drehten sich zu ihr und Rhea hielt inne. „Was getan ist, ist getan. Meine Tochter hat diesen Weg selbst gewählt, ebenso wie deine.“
Die Welt um mich herum schien zusammenzuschrumpfen, bis ich nichts mehr wahrnahm außer Avas kalten Fingern in meiner Hand, und Sekunde für Sekunde wurden sie eisiger. Nein. Nein . Rhea war absolut in der Lage, Ava zu retten. Sie musste es tun.
„Du kannst sie doch nicht einfach sterben lassen.“ Mühsam versuchte ich mich aufzurappeln, doch jemand legte mir die Hände auf die Schultern und hielt mich zurück. Henry. „Sie hat nur versucht, Kronos aufzuhalten. Sie hat getan, wozu du nicht bereit warst.“
Rhea antwortete nicht. Neben ihr kniete sich Kronos auf die Steine, und auch wenn auf seinen Zügen keine Regung zu erkennen war, berührte er leicht Calliopes Wange.
„Bitte, Kronos“, flehte ich. „Ava muss nicht sterben.“
Er sah mich an und in diesem Moment wagte ich zu hoffen. Vielleicht hatte er nach all der langen Zeit doch noch einen Funken Menschlichkeit entwickelt. Wortlos machte er eine Geste in unsere Richtung und mich durchfloss eine Woge angenehmer Taubheit. Das Feuer in meiner Brust verlosch. Er hatte mich geheilt. Er hatte tatsächlich Verständnis.
Hoffnungsvoll drückte ich Avas Hand und sah zu ihr hinab, doch ungestillt pulsierte mit jedem schwächer werdenden Herzschlag weiter Blut aus ihrer Wunde. „Aber …“ Ich blickte auf und Walter senkte den Kopf.
„Sie muss nicht sterben, aber das wird sie“, sagte Kronos. „Damit sind wir quitt.“
Die Ränder meines Sichtfelds verdunkelten sich, und der Himmel schien sich zu drehen, bis die Farben der Dämmerung zu einem einzigen verwischten Fleck zusammenflossen. „Quitt?“, flüsterte ich, und dann, als würde jeder Tropfen Kummer und Verzweiflung und Schuld zugleich aus mir herausströmen, schrie ich: „Du lässt sie sterben, damit wir quitt sind?“
Verbissen kämpfte ich gegen Henrys Klammergriff an, doch er hatte die Arme so fest um mich geschlungen, dass ich mich kaum bewegen konnte. „Kate, beruhig dich“, bat er mich, und warm strich sein Atem über mein Ohr, doch es war zwecklos.
„Er bringt sie um!“, kreischte ich und James kniete sich neben Henry. Jede Erleichterung, dass es ihm gut ging, wurde sofort erstickt von meiner unbändigen Empörung. „Das ist nicht meine Schuld – du kannst das nicht mir in die Schuhe schieben!“
Ist schon gut , strich Avas Stimme durch meinen Geist. Schwach drückte sie meine Hand. Du hast recht. Es ist nicht deine Schuld .
Verzweifelt umklammerte ich ihre Finger. Es tut mir leid. Es tut mir so leid. So sollte es nicht enden .
Aber das tut es. Ich bin bereit .
Ein lautes, gebrochenes Schluchzen entrang sich meiner Brust. Wir finden einen Weg aus dieser Misere, versprochen. Ich finde einen Weg, dich wieder gesund zu machen .
Ein mattes Lächeln erschien auf Avas blutigen Lippen. Diesmal nicht, Kate. Ich liebe dich. Das tun wir alle, selbst wenn einige von uns manchmal nicht besonders gut darin sind, es dir zu zeigen . Bedeutsam richtete sie ihre blauen Augen, aus denen mit jeder Sekunde schneller das Leben wich, auf Henry. Vergiss das nicht. Und mich auch nicht, okay? Ich werde niemals ganz vergehen, solange es noch jemanden gibt, der sich an mich erinnert .
Ich bekam keine Luft mehr. Tiefe Schluchzer zerrissen mir die Brust und das nächste Wort kriegte ich kaum noch heraus. „Versprochen.“
Einer nach dem anderen knieten sich die Ratsmitglieder neben Ava, um sich schweigend von ihr zu verabschieden. Sie alle, selbst Dylan, weinten stumme Tränen. So tief getroffen ich auch war, im Gegensatz zu dem, was sie empfanden, musste mein Schmerz lächerlich sein, und ich zwang mich, den Mund zu halten. Doch auch wenn es selbstsüchtig war, ich brachte es nicht über mich, ihre Hand loszulassen. Auch Walter hörte nicht auf, ihr
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