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Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Titel: Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wirsching
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Typus des «transnational mobilen Europäers» entstand. Vor dem Hintergrund eines durch den Vertrag von Maastricht und die EU-Osterweiterung grundlegend gewandelten rechtlichen Rahmens verknüpften sich individueller Lebenslauf und gesellschaftliche Institutionen geradezu zu einer neuen Form des Europäertums.[ 115 ]
    Es gibt viele Beispiele für eine solche Elitenmobilität, die sachlich von der zeitgleich sich steigernden Migration zu unterscheiden ist. Als etwa der Ire Alan Honan, geboren in Dublin, im Jahre 2001 und im Alter von 25 Jahren nach Prag kam, um dort seinen neuen Job anzutreten, schien die Sonne. Es war «einer der schönsten Augenblicke in meinem Leben». Zwar war die Tschechische Republik zum damaligen Zeitpunkt noch kein Mitglied der Europäischen Union. Alan hatte also nicht wenige bürokratische Hindernisse zu überwinden: Visa zu beantragen, Arbeitsgenehmigung zu sichern, Übersetzungen anfertigen zu lassen usf. Überdies konnte er kein Wort Tschechisch. Aber das hinderte ihn nicht, seinen ersten längeren Auslandsaufenthalt als große Erfahrung zu empfinden. «Ich habe mich niemals zuvor so wohl gefühlt.» Alan arbeitete als Repräsentant einer britischen Firma, die es anderen Firmen erleichtern sollte, ihre Produktion aus den «teuren Ländern» an Orte zu verlagern, an denen die Gestehungskosten geringer waren. Er rekrutierte die Arbeitskräfte und reiste dafür durch das ganze Land. Bald lernte er auch Tschechisch und seine tschechischeLebensgefährtin kennen – in einem Irish Pub in Prag. Irgendwann, so wußte Alan, würde er seinen Job wechseln und Tschechien wieder verlassen müssen, «aber das ist kein Problem, denn ich bin offen für alles!»[ 116 ]
    Anders und auch komplizierter verlief die Akkulturation der Portugiesin Ana Luisa Baptista. Geboren in Lissabon, kam sie im Jahre 2000 im Alter von 26 Jahren nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin nach Brüssel. Der Grund war privater Natur, da ihr belgischer Freund als Journalist in Brüssel lebte. Die ersten zwei Jahre waren «ziemlich schwierig». Das Klima war ein «Schock», die Familie fehlte ihr, ihr Französisch war schlecht. Ein Stipendium erlaubte ihr ein einjähriges Philosophiestudium, ohne daß dies zu einer klaren Perspektive führte. Nach einer vorübergehenden Tätigkeit als Rezeptionistin in einer Anwaltskanzlei, die ihr nicht gefiel, lernte sie noch einmal intensiv Französisch. Auf dieser Basis fand Ana Luisa schließlich einen Job in einer Brüsseler Unternehmensagentur. Hier war es Luisas Aufgabe, ausländische Investoren zu beraten und womöglich anzuwerben. Neben ihrer Muttersprache spricht sie Französisch, Englisch und Spanisch; dies ist, wie sie sagt, ein echter Trumpf. In Brüssel hat sie sich nach sechs Jahren völlig eingelebt. «Ich fühle mich perfekt integriert.» Gleichwohl kann sie sich 2006, im Alter von 32 Jahren und inzwischen verheiratet, durchaus vorstellen, auch woanders zu leben, allerdings eher nicht in Paris – «zu groß, zu laut, zu französisch» – und auch nicht in London – «zu britisch». Aber vielleicht wieder eines Tages in Portugal.[ 117 ]
    Antek Baranskis Eltern sind Polen; er selbst wurde in Kopenhagen geboren, lebte aber die längste Zeit im Ausland, davon 16 Jahre in den Niederlanden und einige Zeit in Genf, wo er sein Studium abschloß. Antek heiratete eine Holländerin; sein erster Job für eine amerikanische Softwarefirma führte ihn nach Stockholm, bevor er für eine andere amerikanische
Start-up
-Firma den gesamten europäischen Markt bearbeitete. Wie manch anderer verlor er seine Stelle im Jahre 2001 infolge des Zusammenbruchs der
New Economy.
Danach machte er sich als Unternehmensberater in Herne selbständig. Für Antek gibt es kein Land, «wo ich mich besonders zu Hause fühle». Wichtig ist Antek dagegen die Europäische Union, in der «ich, wo auch immer, leben und arbeiten kann.» Antek, der neben seiner Muttersprache Polnisch auch Englisch, Deutsch, Holländisch, Schwedisch und Französisch spricht, war sich daher im Jahre 2006, mit 32 Jahren, keineswegs sicher, ob er jemals an einem festen Ort bleiben würde. Er und seine Frau machten sich bereits Gedanken, wo sie sich nach ihrer Station in Deutschland niederlassen werden. Bis Ende des Jahres rekrutierte ihn denn auch ein großes kanadisches Software-Unternehmen als Technischen Direktor. Heute lebt er in Vancouver.[ 118 ]
    Christian Mandl schließlich ist Österreicher, wuchs aber in Belgien auf und besitzt die

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