Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit
waren in überproportionaler Weise jung und männlich, kleine Selbständige oder Industriearbeiter, zum Teil aber auch Angehörige des gehobenen Bürgertums.[ 219 ]
Auf ein ganz ähnliches Wählerreservoir stützte sich der zweite «Prototyp» des populistischen Führers, der Österreicher Jörg Haider, der 1986 zum Vorsitzenden (Obmann) der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gewählt wurde.[ 220 ] Deren sensationeller Aufstieg erfolgte ebenfalls unter den Bedingungen eines sich rasch wandelnden internationalen, soziokulturellen und politischen Umfelds, das die Person Haiders wirkmächtig aufgehen ließ. Die Parteiprogrammatik und die Selbstinszenierung ihres Führers verliehen der FPÖ eine scheinbar authentische Stimme gegen die Machtparität der beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP und die von ihnen dominierte «Konkordanzdemokratie». Stets in der Rolle des Rebellen, mit vielen Imagewechseln und betonter Körperlichkeit verstand Haider das Geschäft der Polarisierung wie kein anderer. Seine Anhänger ebenso wie eine dauerhafte (Medien-)Aufmerksamkeit gewann er durch emotionalisierte Rhetorik und kalkulierte Provokation.[ 221 ] Regelmäßig setzte er auf dichotomisch konstruierte Feindbilder und konfrontierte die «anständigen» Österreicher mit ihren Gegnern:[ 222 ] nach innen mit dem als korrupt bezeichneten Parteienestablishment, nach außen mit den Zuwanderern und Asylbewerbern, für die Haider gelegentlich «Sonderlager» und verschärfte Abschiebung forderte.[ 223 ]
Seiner Popularität tat dies keinen Abbruch. Nach Anfangserfolgen, vor allem bei Länder- und Kommunalwahlen, erzielte die FPÖ bei den Nationalratswahlen im Jahre 1990 bereits
16,6
Prozent; 1994 waren es 22,5 Prozent, ein Anteil, der sich 1999 noch einmal auf sensationelle 26,9 Prozent erhöhte. Mit diesen Wahlergebnissen, die sie bei Regionalwahlen in Haiders «Lehen», dem Bundesland Kärnten, auf über 40 Prozent steigerte, nahm die FPÖ unter den rechtspopulistischen Parteien eine singuläre Position ein. Diese schlug sich auch darin nieder, daß die FPÖ 1999 mit der ÖVP auf nationaler Ebene koalierte und in die österreichische Bundesregierung eintrat.
Mit ihrer Koalitionsfähigkeit hatten Haider und die FPÖ vor allem im konservativen Lager eine gewisse Respektabilität gewonnen, die auch den sofort einsetzenden internationalen Protesten und diplomatischen Pressionen durch viele EU-Mitgliedsstaaten standhielt.[ 224 ] Haider nutzte dies zwar systematisch. Zugleich war er freilich geschickt genug, sich spätestens seit Mitte der 1990er Jahre ausreichend weit von der deutschnationalen und nationalsozialistischen Vergangenheit, die seinen familiären Hintergrund geprägt hatte, zu distanzieren. Das hinderte ihn allerdings nicht, den in Österreich im Vergleich zu Deutschland größeren verbalen Spielraum zu nutzen und immer wieder an antisemitische und nationalsozialistische Traditionen anzuknüpfen. Ähnlich wie Le Pen, der unter anderem die Gaskammern des Holocaust als «Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs» bezeichnete,[ 225 ] suchte Haider mit gelegentlichen antisemitischen, rassistischen oder vergangenheitspolitischen «Ausrutschern» gezielt zu provozieren und entsprechende Medienwirksamkeit zu erzielen.
Nimmt man den Front National, die FPÖ, die rechtspopulistisch-regionalistische Lega Nord, den Vlaams Blok und die phasenweise überaus erfolgreichen dänischen und norwegischen populistischen Parteien zusammen, so ergibt sich in diesen Ländern ein klarer Trend zur Aufwärtsbewegung und Etablierung des Rechtspopulismus. In den 1980er Jahren erreichte er ein durchschnittliches Wählerpotential von fünf Prozent – ein Anteil, der sich innerhalb von zwanzig Jahren verdoppelte:[ 226 ]
FRP/DF (Dänemark), FrP (Norwegen), FPÖ (Österreich), Front National (Frankreich), Vlams Blok (Belgien), Lega Nord (Italien).
Quelle: Dieter Nohlen u. Philip Stöver (Hrsg.), Elections in Europe. A Data Handbook, Baden-Baden 2010.
Zu diesen Ziffern sollte man allerdings die Erfolge eines weiteren Typus des Populismus hinzurechnen. Er ließ sich zugespitzt als Unternehmer-Populismus bezeichnen. Seine Protagonisten waren ebenfalls «charismatische» Einzelpersonen, deren Lebenswelt aber im Gegensatz zu Le Pen oder Haider ursprünglich nicht in der Politik lag. Gegen die Herrschaft der etablierten Parteien mobilisierten sie das Bild des
Selfmademan,
eines Mannes aus dem Volk, der sich aus eigener Kraft und aus «kleinen
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