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Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Titel: Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wirsching
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allerdings, die sie auf die Herausforderung der Globalisierung und des forcierten Strukturwandels gaben, hätten unterschiedlicher kaum sein können. Indem die Grünen ökologisch und unter Rekurs auf grundlegende Selbstbestimmungsrechte argumentierten, orientierten sie sich an universalen Wertesystemen und verkörperten gleichsam den «libertären Pol» der politisch-kulturellen Konfliktlinie. Die regionalistischen und rechtspopulistischen Parteien verkörperten demgegenüber deren «autoritären» Pol.[ 208 ] Sie argumentierten mit den partikularen Werten ihrer Heimat, wobei ethno-regionalistische, autonomistische und föderale Motive sich nicht immer klar trennen ließen.
    Im übrigen sind Parteien wie der Vlaams Blok und die Lega Nord beste Beispiele dafür, daß sich regionalistische Kräfte leicht mit den Aktionsformen und der Rhetorik des (Rechts-)Populismus oder auch rechtsextremen Ideologien verbinden konnten. Damit ist der dritte Typus neu entstehender Parteien benannt, der die traditionellen Parteiensysteme nachhaltig veränderte. Tatsächlich stellten rechtspopulistische Parteien in manchen Ländern die größte Herausforderung dar, eine Herausforderung, die im übrigen das postkommunistische Europa im ganzen charakterisierte.
Die Herausforderung des Populismus
    Schon seit der Mitte der 1980er Jahre begannen neuartige populistische Tendenzen die politische Kultur nachhaltig zu beeinflussen, ja zu verändern; und bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts etablierten sich zumindest in Frankreich, Österreich und Italien populistische Parteien als fester Bestandteil des politischen Spektrums. Populismus ist ein schillernd uneindeutiges Phänomen, und jede populistische Bewegung folgt den Vorgaben der jeweiligen nationalen Kulturen und Pfadabhängigkeiten, die es im einzelnen zu analysieren gilt. Trotzdem lassen sich einige gemeinsame Merkmale benennen. Nicht zufällig entstanden populistische Bewegungen im engen Zusammenhang mit jenen Tendenzen, die seit den 1980er Jahren den Formwandel der Politik vorantrieben. Die hieraus genährte Politik-und Parteienverdrossenheit eröffnete neue Nischen in der Wählerschaft, in denen sich die Populisten einnisten konnten. Zugleich erleichterten die Personalisierung und Medialisierung der Politik den populistischen Führern die komplexitätsreduzierende Konzentration auf ihre Person. Tatsächlich war ihr «Charisma» (oder auch eine ihm zugrunde liegende narzißtische Persönlichkeitsstörung) die notwendige Voraussetzung für den Erfolg populistischer Bewegungen. Ob Jean-Marie Le Pen, Jörg Haider, Silvio Berlusconi oder Pim Fortuyn: Sie alle fanden in der zur Show tendierenden medialen Außenseite der Politik ein kongeniales Betätigungsfeld.
    Politische Auseinandersetzungen führten sie mittels zielstrebiger Polarisierung und dichotomischer Erklärungsmuster. Sie drückten damit die spezifischen Modernisierungs- und Globalisierungsängste der Epoche aus. Denn das Ende des Booms, der forcierte Strukturwandel und die von ihm erzwungenen sozialstaatlichen Reformen boten ja tatsächlich genügend Anlässe für ökonomische Abstiegsängste. Zugleich schürten das Zusammenwachsen der Räume, die verstärkte Mobilität und ansteigende Migrationsbewegungen kulturelle «Überfremdungs»-Ängste; und politisch verband sich damit das Empfinden vieler, die eigenen Interessen und Anliegen seien nicht ausreichend repräsentiert. Dieses Empfinden barg daher nicht zufällig einen latenten Anti-Europäismus, der zum gegebenen Zeitpunkt auch in offene EU-Feindschaft umschlagen konnte. Die Europäische Union wurde «als Einfallstor für die Gefahren des Globalismus betrachtet und nicht als Abhilfe gegen diese.»[ 209 ]
    Dichotomische Erklärungsmuster bedienten ein steigendes Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion. Wo die Weltzusammenhänge unübersichtlicher, die Lebenschancen kontingenter wurden und sich diffuse Ängste verbreiteten, schienen allein klare Entscheidungen und Aktionen zum Schutz der Eigengruppe gegenüber den Bedrohungen von außen Abhilfe zu schaffen.Mit einer aktuellen Definition kann man den Populismus des 21. Jahrhunderts daher als einen ideologischen und politischen Habitus bezeichnen, «der ein tugendhaftes und homogenes Volk gegen eine Gruppe von Eliten und gefährlichen ‹Anderen› stellt. Diesen Anderen wird ganz allgemein unterstellt, das souveräne Volk seiner Rechte, seiner Werte und Identität, seines Wohlstands sowie seiner Stimme zu berauben oder dies

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