Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit
Präsident der Schweizerischen Volkspartei die Politik im Alpenstaat maßgeblich veränderte und teilweise auch polarisierte. Noch weitaus spektakulärer verlief jedoch die kurze politische Karriere des Niederländers Pim Fortuyn. Fortuyn entstammte einem bürgerlichen Hause, war promovierter Soziologie, politischer Kolumnist und bekleidete vorübergehend eine Universitätsprofessur in Rotterdam. Mit einer phasenweise linksextremen Vergangenheit entsprach er am ehesten dem Typus eines libertären Intellektuellen und stellte als solcher einen Populisten «sui generis» dar. Was er aber in der Politik «verkaufte», war allein die eigene Person. Nicht zufällig konnte die von ihm 2001 neu gegründete Partei nicht anders heißen als «Lijst Pim Fortuyn» (LPF). Gleichsam als intellektuellerPolit-Unternehmer machte sich Fortuyn ausschließlich selbst zum Medium und Programm einer Politik, die nur einige wenige, dafür aber um so eingängigere politische Standpunkte vertrat.[ 232 ]
Der niederländische Politiker Pim Fortuyn, Gründer der Lijst Pim Fortuyn, in Rotterdam
In den Niederlanden gab es im Verlauf der 1990er Jahre zwar einige rechte Parteien; sie blieben aber eher unbedeutend, und der Populismus als politisch durchschlagende Kraft blieb im eigenen Land ein unbekanntes Phänomen. Allerdings mehrten sich die Stimmen, die den langjährigen, partei- und lagerübergreifenden liberalen Regierungskonsens der niederländischen Politik als Erstarrung und «Versäulung» empfanden. Demgegenüber wirkte die tabubrechende Rhetorik Fortuyns, der erst 2001 in die aktive Politik eintrat, aufrüttelnd und stimulierend. Binnen kurzem beherrschte er die Medien, die sich begierig auf die neue, polarisierende und konfrontative Politsprache des Newcomers stürzten. Fortuyn nahm das offenkundig anwachsende Mißbehagen in der Bevölkerung auf und konfrontierte es mit der Selbstgefälligkeit der etablierten Parteien. Insbesondere kritisierte er die aus seiner Sicht problematischen kulturellen und mentalen Auswirkungen der lang anhaltenden gesellschaftlichen Liberalisierung. Allzu viel staatliche Toleranz, Selbstgenügsamkeit und allzu maßloser Individualismus hatten demzufolge zu einem Niedergang der öffentlichen Moral geführt. Mehr privater Anstand und mehr öffentliche Sicherheit – das war Fortuyns Devise.
Dies galt auch und im besonderen für die wachsende Zahl von Immigranten, die vor allem aus den früheren Kolonien in Indonesien und Suriname,zunehmend aber auch aus der Türkei zuwanderten. Fortuyn sprach sich strikt gegen islamistische Tendenzen und ihre Duldung aus. Damit mochte er einem latenten anti-islamischen Grundgefühl vieler seiner Landsleute entsprechen. Allerdings definierte er die nationale Eigengruppe keineswegs ethnisch, sondern kulturell. Er forderte die kulturelle Assimilation oder zumindest Anpassung der Zuwanderer. Zugleich argumentierte Fortuyn – als «bekennender» Homosexueller – im libertären Sinne für die Rechte auf individuelle Selbstverwirklichung, die sich freilich in einer stärker normativ orientierten staatlich-gesellschaftlichen Ordnung vollziehen sollte. Insofern unterschied sich sein Populismus deutlich von dem weitaus stärker rechtsnationalistischen Profil eines Le Pen oder Jörg Haider und glich eher den Unternehmer-Populisten Berlusconi und Tapie. Überdies war das Phänomen seines Erfolgs nur im Kontext der im internationalen Vergleich besonders weit fortgeschrittenen individualistischen und toleranten Kultur der Niederlande zu begreifen, an deren Werte eine spezifisch niederländische Variante des Populismus zwingend anzuknüpfen hatte.
Fortuyn, der nicht nur mit konfrontativer Kommunikationsstrategie, sondern auch mit seinem ausgesprochen hedonistischen Lebensstil – mit Bentley, Butler und Stadtpalais – die Aufmerksamkeit auf sich zog, gelang ein politischer Senkrechtstart, wie ihn die Geschichte nur selten verzeichnet. Nach einem kurzen Engagement in der neugegründeten Partei Leefbaar Nederland gründete er rasch seine eigene Liste, die am 6. März 2002 bei den Kommunalwahlen in Rotterdam aus dem Stand und mit sensationellen 35 Prozent der Stimmen zur stärksten politischen Kraft in der Stadt wurde.[ 233 ] Angesichts der nahen Parlamentswahlen versetzte dies das politische Establishment in Unruhe. Fortuyn wurde angefeindet und in die rechtsextreme Ecke eines Le Pen und Jörg Haider gerückt, was es ihm wiederum ermöglichte, sich als Opfer des Establishments
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