Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit
zumindest zu versuchen.»[ 210 ] In seiner Formalstruktur ist diese Form des Populismus nach «links» wie nach «rechts» offen. Insgesamt jedoch konzentrierten sich entsprechende Denkhaltungen eindeutig auf der äußeren Rechten, wenn man von gewissen Erfolgen eines Linkspopulismus in Deutschland, aber auch in den postkommunistischen Ländern absieht.[ 211 ] Diese Affinität populistischer Politik zu rechten und rechtsextremen Positionen ist indes keineswegs zufällig. Denn gegen die dynamischen Kräfte der Globalisierung, der Transnationalität und der Enträumlichung versprachen «linke», universal orientierte Prinzipien keinen wirksamen Schutz. Diesen schien allein der Rückzug auf territorial begrenzte Räume wie den Nationalstaat oder die politisch konstruierte Region zu versprechen.
Aufgrund ihrer teilweise engen Berührungspunkte ist es nicht immer einfach, Populismus und Rechtsextremismus exakt zu trennen. Gleichwohl kann und muß unterschieden werden: Populismus entstand zunächst in Westeuropa als neue «Parteienfamilie» seit den späten 1980er Jahren unter den Bedingungen der Globalisierung und des Formwandels der Politik. Insofern blieb er stets auch ein «Vehikel für die Massenmobilisierung schon existierender Anti-Parteien-Gefühle, das auf der Gegenüberstellung von einfachem Volk und politischer Elite beruht».[ 212 ] Nach 1990 dehnte sich diese Form des Populismus auf die postkommunistischen Staaten aus und bildete damit eine Art Schattenseite der europäischen Demokratie. Rechtsextremismus dagegen wurzelte in ideologisch älteren Traditionen, griff auf rassistische und ethno-nationalistische Ungleichheitsvorstellungen zurück und war nicht notwendig auf charismatische Führerpersönlichkeiten angewiesen.
Beispiele waren etwa die NPD in Deutschland oder in Norwegen Arne Myrdals Folkebevegelsen Mot Innvandring (Volksbewegung gegen Einwanderung, FMI). Hier wurde eine zunehmend radikal-gewaltsame Rhetorik gepflegt, die Bürgerkrieg und Racheakte gegen demokratische Politiker evozierte, aber kaum populistische Breitenwirkung erzielte.[ 213 ] Demgegenüber konnten der belgische Vlaams Blok, der französische Front National oder die Dänische Volkspartei (Dansk Folkepartie) ebenfalls als rechtsextreme Parteien gelten, die aber mit populistischen Politikformen erhebliche Wahlerfolge erzielten.[ 214 ] Stets war also eine enge Interaktion zwischen populistischer Form und rechtsextremen Inhalten möglich.
Im Innern richtete sich die dichotomische Struktur der populistischen Politik gegen die Repräsentanten der etablierten repräsentativen Demokratie. Parlamente und Parteien, Berufspolitiker und Verbandsfunktionäre gerieten in das Visier der Populisten, die sich damit als Anti-System-Kräfte zu profilieren suchten. Die schärfste Form der populistischen Exklusion richtete sich indes nach außen, gegen die Einwanderer. Und gerade in dieser Hinsicht waren die Grenzen fließend zwischen populistischen, rechtsextremen und offen neonazistischen Gruppierungen, die ihr Gedankengut aus älteren, faschistischen und rassistischen Beständen zogen. Tatsächlich bildete die xenophobe Reaktion auf die Zuwanderung die wichtigste Wurzel für den Erfolg der populistischen Parteien und zugleich ihren größten gemeineuropäischen Nenner.
Gleichsam das Urbild des erfolgreichen populistischen Politikers war der Franzose Jean-Marie Le Pen. Der frühere Fremdenlegionär und Abgeordnete der Protestpartei des Pierre Poujade wurde 1972 zum Präsidenten des neu gegründeten Front National gewählt, zunächst ein Sammelbecken unterschiedlicher Rechtsgruppierungen, das allerdings lange Zeit nicht über die Existenz einer Splitterpartei hinausreichte. Zwar distanzierte sich die Partei von offen faschistischen oder vichyistischen Tendenzen. Aber mit Anleihen in der national-revolutionären und katholisch-gegenrevolutionären Tradition integrierte sie alle wesentlichen Richtungen des französischen Rechtsextremismus. Antikommunismus und Antisozialismus, Nationalismus, «Reinheit» der französischen Identität und ihre Verteidigung nach außen wie nach innen sowie eine organische Volks- und Staatsvorstellung bildeten die wichtigsten Stichworte ihrer Propaganda.
Zum entscheidenden Erfolgsfaktor, der die unterschiedlichen Strömungen bündelte und in der personalisierten und medialisierten politischen Szenerie zuspitzte, wurde indessen Le Pen selbst. Seine Chance kam nach dem Machtwechsel des Jahres 1981 und der Regierungszeit der
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