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Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Titel: Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wirsching
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hierfür die gleichen wie in den westeuropäischen Demokratien, nur waren sie stärker ausgeprägt und wurden nicht durch die vertrauten Routinen einer langetablierten Demokratie abgefedert. Wirtschaftliche und kulturelle Bedrohungsängste im Zeitalter der Kapitalisierung des eigenen Landes und der fortschreitenden Globalisierung verbanden sich mit der Enttäuschung über die politische Entwicklung seit 1989/90. In der Folge ging das Vertrauen der Wähler in die demokratischen Institutionen und in die hier etablierten Parteien massiv zurück; und eben dies war die Chance der Populisten.
    Der erste Akteur in diesem Sinne war der Unternehmer-Populist Stanislaw Tymiński. Als völlig Unbekannter erzielte der exilpolnische Geschäftsmann aus Kanada bei der ersten demokratischen Wahl des polnischen Staatspräsidenten im November 1990 sensationelle 23,1 Prozent der Stimmen. Sein Image als dynamischer
Selfmademan
verband er mit dem absurden Versprechen, allen Polen zu Wohlstand zu verhelfen. Auf viele Wähler wirkte das überzeugender als die bedächtigeren Worte des verdienten Tadeusz Mazowiecki. Tymiński stach Mazowiecki aus und erreichte gegen Lech Wałęsa den zweiten Wahlgang, in dem er seinen Stimmenanteil immerhin noch einmal auf mehr als 25 Prozent steigerte.[ 242 ]
    Tymiński blieb eine Eintagsfliege – als er sich 2005 noch einmal am höchsten Staatsamt versuchte, erhielt er 23.545 Stimmen oder 0,16 Prozent. Aber die populistische, aggressiv-dichotomische Struktur der politischenArgumentation, die entsprechend polarisierte, mit Schuldzuschreibungen operierende Vorstellung von Politik und die Feindschaft gegen alles «Fremde» charakterisierten bald die politische Kultur in Polen, Ungarn und in anderen postkommunistischen Ländern. Hinzu trat die hemmungslose Inszenierung der eigenen Person als regelmäßig angewandte Standardmethode der Populisten. In Polen pflegten insbesondere die Zwillingsbrüder Kaczyński und Andrzej Lepper, der zwischen Charisma, Politclownerie und Gewalt schwankende Chef der Bauernpartei «Selbstverteidigung» (Samoobrona), diesen politischen Stil. Anfang der 2000er Jahre prägten sie mit ihm nachhaltig die politische Arena und trugen damit zur Theatralisierung, Hysterisierung, aber auch zur Vulgarisierung der polnischen Politik bei. Gegen Korruption und Kommunismus führten sie die zu erneuernde Moral im Munde, in sozialer Hinsicht versprachen sie allen alles und verbanden dies mit schroff nationalistischer Rhetorik.[ 243 ] Antikommunistische, antideutsche und antieuropäische Feindbeschwörungen gehörten zu ihrem Standardrepertoire.
    In Ungarn, das in den 1990er Jahren zunächst als «Musterknabe» der gelungenen Systemtransformation galt, existierte wie in Polen eine starke agrarpopulistische Tradition, die auch nach 1990 das alte
cleavage
zwischen Stadt und Land neu akzentuierte.[ 244 ] Auch hatte sich der demokratische Übergang ähnlich wie in Polen in Form eines Herrschaftskompromisses vollzogen, was die populistische Attacke auf den Elitenkonsens des Umbruchs im Namen von Antikommunismus und Lustration erleichterte. Anders als Polen kannte Ungarn allerdings ein Nationalitätenproblem. Die Anwesenheit signifikanter ethnischer Minderheiten auf ungarischem Territorium, allen voran die Sinti und Roma, sowie die Existenz Hunderttausender von Auslandsungarn als Spätfolge des Vertrags von Trianon (1920) verliehen dem nationalistischen Diskurs in Ungarn eine besondere ethnonationalistische Schärfe. Hinzu traten die ökonomischen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Inflation und die Bedrohungsangst infolge der fortschreitenden Globalisierung. Dies alles schuf einen guten Nährboden für rechtspopulistische Bewegungen, die anfangs kaum eine Rolle spielten, gegen Ende der 1990er Jahre jedoch einen Durchbruch erzielten. Im Ergebnis kennzeichneten Instabilitäten und Paradoxien die ungarische politische Entwicklung.
    Einerseits befand sich das Parteiensystem in Ungarn auf dem Weg zu einem stabilen Zweiparteiensystem. Die beiden weitaus stärksten Parteien, die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) und der Bund Junger Demokraten, entwickelten sogar die Merkmale von Kartellparteien.[ 245 ] Andererseits verbarg sich dahinter eine erhebliche Fragilität. Tatsächlich schien esgegen Ende des Jahrzehnts wie in Polen auch eine Art «populistisches Moment» zu geben, das die Koordinaten der politischen Kultur der 2000er Jahre verschob. Aus dem früheren Musterknaben wurde das europäische

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