Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit
Unterschiede,[ 238 ] viele Gründe, die für eine deutliche Annäherung der politischen Kulturen in der europäischen Demokratie des frühen 21. Jahrhunderts sprechen. Zwar muß bei allen Aussagen über die Transformationsgesellschaften das schwere Erbe des Kommunismus bedacht werden, das die demokratische Entwicklung beeinflußte und teilweise auch behinderte. Die kommunistische Vergangenheit brachte spezifische
cleavages
der Parteienentwicklung hervor,für die es in Westeuropa keine Parallele gab. Auch förderte die Illusion der sozialpolitischen Rundumversorgung, die der Kommunismus gepflegt hatte, die Verknüpfung rechter, nationalpopulistischer mit linken, sozialpopulistischen Elementen. In diesem Rahmen aber begleiteten die für Westeuropa typischen Elemente des politischen Formwandels und des Populismus den demokratischen Übergang. Im Vergleich zu den meisten westeuropäischen Demokratien äußerten sie sich in vergröberter, gleichsam «archaischer» Form, in der Struktur aber glichen sie sich weitgehend.
Dies gilt insonderheit für die typischen Tendenzen der Medialisierung und Personalisierung der Politik. Nach der Befreiung der Medien aus dem ideologischen Griff der kommunistischen Parteien und Regime hofften die osteuropäischen Intellektuellen zunächst auf ein Zeitalter der Meinungsfreiheit und des rationalen Diskurses in der Öffentlichkeit. Dies erwies sich jedoch als eine «tragische Illusion», wie der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski 1996 beklagte. «Noch vor sieben Jahren manipulierten die kommunistischen Machthaber durchs Fernsehen und durch die Presse die polnische Gesellschaft. Heute manipulieren das Fernsehen und die Presse die Regierung, die demokratisch ist.»[ 239 ]
Solche Enttäuschungen waren freilich Teil der Ernüchterung, die sich mit der Übernahme westlicher Strukturen fast zwangsläufig einstellte. Denn die Transformation der Medien bildete ja einen zentralen Aspekt der allgemeinen politischen Demokratisierung. Rasch setzte sich die westliche Medienstruktur durch, mit ihrer charakteristischen Teilung in öffentliche und private elektronische Medien. Dies barg spezifische Gefahren. Denn stets drohte eine übermäßige staatliche Einflußnahme der Regierungen auf die Medien, so daß sie zum beständigen Zankapfel der Parteien und Regierungen wurden. In Polen, Tschechien und Ungarn galten die Medien als so parteiisch, daß man bald schon von ihrer «Berlusconisierung» sprach. Ungarn kannte seit seinem Übergang zur Demokratie eine Serie von «Medienkriegen». Der sogenannte «zweite Medienkrieg» von 1999/2000 offenbarte die Möglichkeiten, die sich einer Regierung boten, um die lästige «Vierte Macht» im Staate zu bändigen. Die Zeit der ersten Regierung Viktor Orbáns und seines Bundes Junger Demokraten (FIDESZ) war begleitet von unhaltbaren Anschuldigungen, Entlassungen illoyaler Journalisten, Korruptionsvorwürfen und der Veröffentlichung von «Schwarzen Listen» mit den Namen feindlicher Oppositionspolitiker und Journalisten. Allerdings verfehlte Orbán mit solchen Methoden nicht nur das angestrebte «Mediengleichgewicht», sondern förderte mit ihnen selbst seine Abwahl im Jahre 2002.[ 240 ] Dies zeigte, daß sich in einer grundsätzlich freien und pluralistischenGesellschaft eine rabiate Medienpolitik langfristig kaum durchsetzen kann, sondern stets auf neue Widerstände trifft.
Vergleichbares fand in Polen statt: Hier gelang es den Gebrüdern Kaczyński, mit ihrer Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) nach dem Wahlsieg vom Jahre 2005, die öffentlich-rechtlichen Medien binnen kurzer Zeit zu kontrollieren.[ 241 ] Dies verhinderte aber nicht, daß ihre Popularität abnahm und 2007 die Wahlen zum Sejm einen Umschwung und Regierungswechsel mit sich brachten.
Zugleich freilich reproduzierte sich die aus den westlichen Medien bekannte Tendenz zum «Infotainment». Die Fernsehsender interessierten sich aus kommerziellen Gründen für den Show-Effekt der Politik. Die Politiker selbst erlagen allzu oft der Versuchung, aus diesem Spiel politisches Kapital zu schlagen. Dies förderte die Personalisierung der Politik, wovon besonders jene Politiker profitierten, die offen populistische Methoden anwendeten.
Tatsächlich prägte eine Welle populistischer Rhetorik die Geschichte der jungen ostmitteleuropäischen Demokratien, und das galt unabhängig davon, wie man die entsprechenden Phänomene systematisch bewertet und einordnet. Im Kern waren die tieferen Ursachen
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