Der Preis des Lebens
nehmen? Und selbst wenn sie es geschafft haben sollten – verdiente DeRául für all das Leid, das er über andere gebracht hatte, dann nicht immer noch den Tod?
»Selbst wenn«, sagte Lorn deshalb irgendwann. »Was hindert mich daran, ihn für seine bisherigen Taten zu bestrafen?«
Es war nicht Nugal, der dem Jäger darauf antwortete.
Visco DeRául, dessen bleiche Hand sich um einen schwarzen Kerzenstummel geschlossen hatte, öffnete mühsam die Augen und erklärte mit leiser, aber fester Stimme:
»Ich habe einiges wieder gut zu machen, Jagam ...«
Kapitel II: Wölfe im Nebel
1.
»Mach schon, Kätzchen!«
Das Einzige, was Narija in Folge dieser rauen Aufforderung machte , war kopfschüttelnd ein Schritt nach hinten. Jeder Grashalm, den sie zwischen sich und den stämmigen Glatzkopf brachte, war ein gewonnenes Stück Freiheit.
Andererseits war es mit ihrer Freiheit vielleicht schon vorbei gewesen, als die Schatten der beiden Männer kurz zuvor unversehens auf sie und ihren Korb gefallen waren ...
»Jetzt stell dich nicht so an!« Das tiefe Brummen des Hünen hinderte Narijas Gedanken am Abschweifen. »Komm schon. Wir wissen doch beide, dass du auf stramme Burschen stehst.« Bei diesen Worten nickte er in Richtung seines Gefährten, eines kleinen, wieselgesichtigen Mannes mit unstetem Blick, der mit vor der Brust verschränkten Armen und breitem Grinsen ein paar Schritt hinter Narija stand und ihr den Weg abschnitt. »Wir können Ruyc auch wegschicken«, schlug der Glatzkopf Narija plötzlich vor. »Verpiss dich, Ruyc!«, rief er dann gut gelaunt. »Die Kleine will nichts von dir.«
»Vielleicht will sie auch nichts von dir , Diban«, versetzte das Wieselgesicht. »Was an deinem Mundgeruch liegen dürfte.«
»Ich will von euch beiden nichts«, murmelte Narija da mit der brüchigen, halb erstickten Stimme der Verzweiflung.
Diban sprang so rasch nach vorn, dass Narija keine Gelegenheit hatte, der Ohrfeige auszuweichen. Die schwielige Hand des Söldners klatschte laut auf ihre Wange. Narija schrie entsetzt auf, taumelte zurück, stolperte und landete unsanft auf dem Hintern. Vor ihren Augen tanzten bunte Lichter, Übelkeit stieg in ihr hoch.
Diban spuckte zur Seite aus.
»So nicht, Miststück!« »Was für ein Grobian«, höhnte Ruyc kopfschüttelnd. Er ging vor Narija in die Hocke und lächelte wie ein guter Onkel. »Komm schon, Kleines. Wir lassen den Langen einfach hier stehen und machen es uns hinter dem Busch da gemütlich, mh? Nur du und ich, Täubchen. Wie klingt das?«
Narija kroch benommen ein Stück von Ruyc fort, sodass sie nun auf halber Strecke zwischen den beiden Männern im Gras kauerte. Doch Ruyc ließ nicht locker.
Mit ausgestreckten Armen schoss er auf Narija zu ...
Narijas spitzer Schrei wandelte sich zu einem panischen Kreischen, als Ruyc sie grob an den Ellenbogen nach oben riss und so nahe an sich heran zog, dass sie seinen Atem warm im Gesicht spüren konnte. Narija wehrte sich nach Leibeskräften und wand sich wie ein Aal im Griff des kleinwüchsigen Mannes. Dabei traf ihr rechter Fuß irgendwie Ruycs Schienbein. Diese kleine Ablenkung genügte Narija bereits – wer mit einem vier Jahre älteren Bruder aufgewachsen war, hatte einige Erfahrung in Rangeleien mit stärkeren Gegnern und wusste, schon kleine Vorteile zu nutzen: Also entriss sie dem für den Moment unaufmerksamen Söldner einen ihrer Arme und krallte die langen Fingernägel in Ruycs Wange.
Ruycs Rattenaugen blitzen vor Zorn und Schmerz, als er Narija daraufhin heftig von sich stieß, knurrend ausholte und ihr mit der geballten Faust mitten ins Gesicht schlug. Narija wirbelte um die eigene Achse und fiel zum zweiten Mal wie betäubt ins Gras – mit dem Unterschied, dass ihr diesmal die Sinne fast augenblicklich schwanden.
» Schlampe! «, schnappte Ruyc giftig und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Auf seiner stoppeligen Wange zeichneten sich fünf hässlich rote Striemen ab.
»Mach das kleine Biest fertig, Ruyc.« Unverhohlene Schadenfreude erhellte Dibans grobe Züge. »Wir müssen zurück. Am Ende erwischt uns sonst noch einer der Späher. Du weißt ja, wie Wambarc ist, wenn er was vorhat.«
Dibans Stimme drang nur wie aus weiter Ferne zu Narija. Die wattierte, dumpfe Schwärze um sie herum schien nicht nur jedes Bild, sondern auch jedes Geräusch zu verschlucken.
»Hab die Kleine gleich so weit, Langer.« Trotz des Schleiers konnte Narija die kalte Wut in Ruycs Stimme hören – gefolgt vom leicht schabenden
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