Der Preis des Verrats (German Edition)
fühlte sich wie ein Stein an. Sie konnte nicht atmen. Die Gesichter, die an ihr vorüberzogen, blickten sie mal neugierig, mal anklagend an, oder auch beides gleichzeitig. Unter der Plane des Beerdigungsinstituts vernahm sie Meredith Harpers schrille Klagelaute.
„Wir gehen“, murmelte Reid, seine Wut unterdrückend. Caitlyn spürte seine Hände auf ihren Schultern. Er drängte sie vorwärts. Erst jetzt merkte sie, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Als er ihr in den Geländewagen half, explodierte ein Strahlenkranz aus Licht vor ihrem Gesicht.
„Verschwinde“, blaffte Reid den Fotografen an. Die Medienleute waren angewiesen worden, jenseits der Friedhofspforten zu bleiben, um der Familie und den Trauergästen ein wenig Respekt zu erweisen. Aber mindestens einer von ihnen hatte sich auf das Gelände gewagt.
„Und, ist das jetzt für Sie ein Déjà-vu, Ms Cahill?“, rief der Mann. Die Kamera verbarg die obere Hälfte seines Gesichts. „Der erste Capital Killer war Ihr Bruder – kennen Sie diesen hier jetzt auch persönlich?“
Caitlyn stand mit offenem Mund da. Da erschien Agent Morehouse, packte den Fotografen beim Arm und führte ihn fort. Sobald Caitlyn im Fahrzeug saß, schloss Reid die Beifahrertür, lief dann um den Wagen herum zur anderen Seite. Sie wartete. Regen strömte über die Windschutzscheibe des Geländewagens und trommelte auf dem Dach, während Reid und sein Partner draußen miteinander sprachen.
Durch den heftigen Wolkenbruch hindurch konnte sie nicht verstehen, was sie sagten.
Ihre immer noch leicht verletzte Hand schmerzte in der feuchten Kälte.
„Was ist los?“, fragte Caitlyn, als Reid schließlich in das Fahrzeug stieg.
„Agent Tierney hat einen Tipp bekommen, wo sich David Hunter aufhalten könnte.“ Reid startete den Motor, aber er kam nicht vom Straßenrand fort, weil die Trauergäste immer noch vom Grab wegströmten. Die Heizung des Geländewagens blies lauwarme Luft aus. Er schaute sie an, Mitgefühl spiegelte sich auf seinen ebenmäßigen Zügen. Selbst im Schutze des Regenschirms war sein dunkles Haar feucht geworden, und sein blassblauesAnzughemd und die Seidenkrawatte unter dem Trenchcoat waren von kleinen Tropfen benetzt. Seine durchdringenden grauen Augen hatten dieselbe Farbe wie der immer dunkler werdende Himmel.
„Du zitterst.“ Er drehte die Heizung eine Stufe höher.
„Was wirst du jetzt tun?“
„Wir werden der Sache nachgehen.“ Er starrte in den Rückspiegel, und Caitlyn wusste, dass er zu Agent Tierneys dunklem Wagen hinüberschaute, der hinter ihnen mit eingeschalteten Scheinwerfern parkte.
„Mein Vater wohnt ein paar Meilen von hier entfernt“, sagte Reid zu ihr. „Ich werde dich für eine Weile bei ihm zu Hause absetzen. Du kannst nirgendwo sicherer aufgehoben sein als bei einem pensionierten Cop.“
Caitlyn wollte protestieren, aber ihr war klar, dass Reid sich nicht davon abbringen lassen würde. Auf seine Anweisung hin hatte Manny sie vor ein paar Stunden in den District gebracht, sie an Reid übergeben, um dann zu Farm und Reiterhof zurückkehren zu können. Nachdem er sie zur Beerdigung begleitet hatte, sollte Reid sie laut Plan zurück nach Hause fahren. Sie wurde wie eine Gefangene behandelt, und dieses Gefühl mochte sie ganz und gar nicht.
„Ich möchte mich deinem Vater nicht aufdrängen“, sagte sie leise.
„Mach dir darum keine Sorgen. Wahrscheinlich wird er dir ein Bier anbieten und mit dir Karten spielen.“
Als der Strom der Trauernden an dem Geländewagen vorbei endlich nachließ, steuerte Reid auf die Straße. Caitlyn klappte die Sonnenblende herunter und warf einen prüfenden Blick in den beleuchteten Spiegel. Ihr Haar hing in schlaffen Strähnen um ihr Gesicht herum und umrahmte die verweinten Augen. Der Bluterguss an ihrer Schläfe war ein wenig verblasst, aber immer noch ein hässlicher Fleck in Blassgelb und Grün.
„Glaubst du wirklich, David Hunter ist der Nachahmer?“
Reid sah sie nicht an. Er war vollauf damit beschäftigt, denKameramännern und Reportern auszuweichen, die draußen vor dem Saint John Cemetery warteten. Sie standen im strömenden Regen und bauten ihre Ausrüstung auf, um sich auf die Fünf-Uhr-Nachrichten vorzubereiten.
„Mein Bauchgefühl sagt Nein“, erwiderte er. „Aber es wäre fahrlässig, ihn nicht festzunehmen, wenn wir können.“
Sie fuhren durch das mächtige schmiedeeiserne Tor, als eines in einer langen Reihe von Autos, die den Friedhof verließen. Reid
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