Der Preis des Verrats (German Edition)
anrufen, um sie auf den neuesten Stand zu bringen, aber sie wusste von der Besprechung mit der Taskforce. Bestimmt hatte er alle Hände voll zu tun.
Nachdem sie vom Tisch aufgestanden war, spähte sie durch das Küchenfenster in die Dunkelheit und erkannte flüchtig ein Fahrzeug, das vom Grundstück fuhr. Aber es war kein Streifenwagender Middleburg Police, sondern der Kombiwagen der Treadwells, der zwischen den Bäumen verschwand und zurück in Richtung Hauptstraße steuerte. Caitlyn hatte vor einer Weile mit Sophie telefoniert. Ihre Freundin hatte nicht erwähnt, dass sie vorbeikommen wollte. Caitlyn vermutete, es war Rob, der wieder einmal vorbeifuhr, um nach ihr zu sehen. Er musste Mannys Truck in der Auffahrt bemerkt und dann beschlossen haben, nicht hineinzukommen.
Sie dachte daran, wie übermäßig vertraulich er neulich ihr gegenüber gewesen war, und war froh, dass er seine Meinung geändert hatte.
Reid stand mit Mitch ein paar Zentimeter von dem Edelstahltisch entfernt, auf dem Bliss Harpers Leichnam lag. Dr. Ketel, einer von dem halben Dutzend Gerichtsmediziner im District of Columbia, führte soeben die äußere Leichenschau durch. Er trug eine Brille, und sein graues Haar wurde bereits schütter. Soeben sprach er in das Aufnahmegerät, das über dem Tisch hing. „Drei Schnittwunden auf der rechten Brust, zwei auf der linken, dabei wurde die Brustwarze beinahe abgetrennt.“
Mit seinen behandschuhten Händen untersuchte Dr. Ketel die Schnittwunden genauer. „Die Einschnitte haben eine Länge von fünf bis acht Zentimetern, eine Tiefe von ungefähr einem Zentimeter …“
Die mündliche Beschreibung ging weiter. Eine Kopfstütze aus Gummi war bereits unter den Schädel geschoben worden, um den Leichnam in die für die Obduktion notwendige Position zu bringen. Reid wusste, was als Nächstes kam – der Y-Schnitt, mit dem der Gerichtsmediziner den Oberkörper öffnete, um irgendwelche Unregelmäßigkeiten der Organe festzustellen oder etwas, das auf die Todesursache hinwies. Nicht, dass das noch nötig war, dachte Reid grimmig. Die schwarzen Würgemale um den Hals herum zeigten deutlich, dass man sie erdrosselt hatte. Dennoch, bei allen Todesfällen, wo ein Mord erwiesen war oder vermutet wurde, musste eine Obduktion durchgeführt werden.
„… Der Leichnam weist eine Reihe von Malen auf, ungefähr drei Komma fünf Zentimeter im Durchmesser, die sich an der Innenseite des rechten Unterarms hinauf erstrecken. Es scheint sich um Zigarettenverbrennungen zu handeln.“ Dr. Ketel untersuchte nüchtern und monoton weiter. „Weitere ähnliche Male befinden sich auf dem Torso und den Oberschenkeln …“
Trotz der niedrigen Temperaturen in dem Obduktionsraum schwitzte Reid in seinem Anzug, fühlte sich wie eingeschnürt in seinem Hemd und der Krawatte. Er schaute kurz zur Seite. Zorn und Widerwille brodelten in ihm. Die Leiche war in einem katastrophalen Zustand und verriet, welchen Todeskampf die Frau durchlitten hatte. Schnitte, Verbrennungen und Blutergüsse bedeckten ihre blasse Haut, wirkten so anstößig wie Graffiti auf einer Kirchenwand. Wer auch immer der Killer war, er dehnte die Misshandlungen allmählich aus.
„Er steigert sich“, raunte Reid, Mitch nickte zustimmend. „… mehrfache Würgemale weisen darauf hin, dass das Opfer wiederholt stranguliert wurde, bevor es zu einer vollständigen Erstickung und dem Zerdrücken der Luftröhre kam …“
Der Geruch eines Antiseptikums hing in der Luft und vermischte sich mit dem schwachen Moschusduft von Mitchs Rasierwasser. Reid wurde leicht übel. Er verließ den Raum. Er brauchte einen Moment, um sich zusammenzunehmen.
Reiß dich zusammen, sagte er sich und lief in dem fensterlosen Kellergang hin und her. Aber zu wissen, dass die Leiche auf dem Tisch eine Freundin von Caitlyn war – dass sie an einem Ort entführt worden war, den Caitlyn nach wie vor aufsuchte –, machte die Obduktion für ihn fast unerträglich. Läge ein beliebiges Opfer dort drinnen auf dem Tisch, fiele es ihm leichter. Er wollte nicht so empfinden; alle Opfer zählten gleich viel. Aber Bliss Harper berührte ihn auf besondere Weise. Auf einmal schien es nur allzu real, wie leicht Caitlyn diejenige sein könnte, die statt ihrer auf diesem Tisch lag.
Reid stand schon einige Minuten auf dem Gang, da öffnete sich die Tür des Obduktionssaals und Mitch trat hinaus. „OhMann, Novak. Du benimmst dich ja wie der letzte Anfänger, schlimmer als Morehouse.“
Reid rieb sich
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