Der Priester
sich nur auf eins konzentrierten – endlich ein Ergebnis vorweisen zu können.
Draußen schienen irgendwie alle übergeschnappt zu sein. Nicht nur die Bewohner von Dublin, ganz Irland war wegen des Priesters in Panik. Seit jenem Sonntagmittag hatte der ganze Medienapparat mit Tunnelblick auf Hyperantrieb geschaltet. Jede Titelseite, jedes Fernsehmagazin begann mit dieser Story. Die Talkshows stürzten sich mit voyeuristischer Lust darauf, luden jeden noch so schlecht informierten Experten, meinungsstarken Akademiker und den an Verbaldurchfall leidenden Teil der Öffentlichkeit ein, um die Sache zum x-ten Mal durchzukauen, die Gefahr zu verzerren und maßlos zu überhöhen. Wilde Fantasien und wirre Gefühle wurden miteinander vermengt und dabei unablässig die Unfähigkeit der Polizei und der Regierung beklagt und nach Sündenböcken gesucht.
Mulcahy überstand das alles, indem er eine ähnliche Haltung wie die anderen annahm. Es gab zwar Gerede über eine interne Untersuchung zur Erforschung des Lecks, aber das war auch nichts weiter als Gerede. Mulcahy hatte einen ganz eigenen Verdacht – wie hätte es auch anders sein können? –, in Ermangelung jedweder Beweise und der Zeit, danach zu suchen, wollte er die Dinge vorerst allerdings ruhen lassen. Seine Hauptsorge bestand nicht darin, dass er sich von dem Verdacht befreien musste, vielmehr fürchtete er, dass eine ehrgeizige Ratte aus der Internen Revision, die ein schnelles Ergebnis wollte, ihm die Sache anhängen könnte. Da Healy ihm die Aufgabe zugeteilt hatte, den Fall gegen Scully zu überprüfen, verbrachte er unzählige Stunden vor dem Computermonitor, wo er immer wieder die Protokolle der bisherigen Vernehmungen las, über negativen gerichtsmedizinischen Gutachten brütete und, gemeinsam mit einem Detective aus der IT -Abteilung, die Daten auf Scullys beschlagnahmtem PC auswertete. Darauf war jedoch nichts Interessantes zu finden. Weder versteckte Dateien noch sadistische Pornos oder passwortgeschützte Portale zu Internetseiten, auf denen Folter und Verstümmelung junger spanischer oder irischer Frauen propagiert wurde.
Er las sogar in Scullys Notizen zu seiner Dissertation über die sogenannte Irische Inquisition, deren Titel Brogan verständlicherweise fast einen Herzinfarkt beschert hatte. Es war jedoch nichts weiter als eine langweilige geschichtliche Darstellung der Verfolgung einer jungen irischen Adligen aus Kilkenny, die im frühen vierzehnten Jahrhundert wegen Hexerei verurteilt worden war. Scully hatte offensichtlich versucht, einen Schocker daraus zu machen, was der Stoff aber im Prinzip nicht hergab. Wie alle anderen Spuren führte auch diese in eine Sackgasse und brachte Mulcahy wieder an den Punkt zurück, an dem er schon einmal gewesen war. Scully war zweifelsohne eine etwas zwielichtige Gestalt, und er konnte auch nachvollziehen, wie Brogan zu der Überzeugung gekommen war, dass er Dreck am Stecken haben musste. Er war ein Drogendealer, und weil er fürchtete, man würde ihm etwas anhängen, was er nicht getan hatte, war er geflohen. Aber zumindest bisher hatte Mulcahy keine weitere Verbindung zwischen Scully und dem Überfall auf Jesica Salazar gefunden.
Nachdem er Healy über seine Schlussfolgerung informiert hatte, überreichte dieser Mulcahy gleich den nächsten Schierlingsbecher, indem er ihm die Leitung des Teams übergab, das Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen sollte. Hier herrschte komplettes Chaos nach der von den Medien geschürten Hysterie. Sechs Beamte waren allein dafür abgestellt, die Flut der Anrufe, Briefe und E-Mails aus der Öffentlichkeit zu bearbeiten und zu beantworten.
Sie mussten allen Hinweisen nachgehen, so vage sie auch sein mochten: Jeder verdächtige Nachbar wurde überprüft, jeder Idiot, der mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen hatte oder einfach nur über seine Angst, Vorurteile oder morbiden Fantasien reden wollte, wurde angehört. Die Angst vor weiteren öffentlichen Demütigungen, weil sie eine entscheidende Information übersehen hatten, besonders eine, die ihnen von einem rechtschaffenden Bürger auf dem Silbertablett serviert wurde, war einfach zu groß. Mulcahy wurde der Filter. Seine Aufgabe bestand darin, alles einzuschätzen, Prioritäten zu setzen und alles Wichtige an Brogan weiterzuleiten, deren Team dann die Ermittlungen aufnahm. Es war anstrengende Arbeit, die viel Konzentration erforderte. Sie beanspruchte den ganzen Tag, und abends, wenn er nach Hause kam, war er so müde, dass
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