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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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Fragen loszuwerden und so viel wie möglich aus der Sache herauszuholen. Sie wussten, wie viele Menschen vor Schreck plötzlich hellwach waren oder ihre Cornflakes durchweichen ließen, weil sie fürchteten, durch ein falsch getimtes Knuspern eine wichtige Einzelheit zu verpassen. Schließlich handelte es sich um die meistgehörte Radiosendung des Landes. In ihr wurde die Nachrichtenagenda für den ganzen Tag gesetzt. Und auf die Art etablierte RTE das Thema für den ganzen Tag, denn was in Morning Ireland über den Sender ging, wurde endlos in sämtlichen Sendungen des Tages wiederholt und recycled.
    Gleich nachdem sie an ihrem Wagen angekommen war, hatte sie Gaffney angerufen, einen alten Freund von der Journalistenschule. Er war praktisch vor ihr auf die Knie gefallen, so sehr hatte er gefleht, dass sie in seine Sendung kommen solle. Er hatte ihr sogar angeboten, sie in einer Limousine abholen und ins Studio fahren zu lassen. Aber was hätte das gebracht, wo sie direkt neben ihrem Cabrio stand. Außerdem hatte sie auf der Fahrt die Gelegenheit, sich zu sammeln und die Geschichte im Kopf in die richtige Reihenfolge zu bringen. Und sie hatte Zeit, Paddy Griffin anzurufen und sich von ihm die Erlaubnis für das Interview zu holen – und dann lachend zur Kenntnis zu nehmen, wie der am Telefon über den Fluch schimpfte, bei einer Sonntagszeitung zu sein. Kaum anderthalb Stunden nachdem sie von dem Dorftrottel von Sergeant weggeschickt worden war, schlürfte sie in den RTE -Studios in Donnybrook einen Kaffee und plauderte mit Gaffney, während ein Techniker einen Soundcheck durchführte. Und nach der kurzen Einführung, in der sie als »die brillante Chefreporterin vom Sunday Herald – Siobhan Fallon« vorgestellt worden war, fing sie an, in plastischen Bildern über das zu berichten, was sie in den frühen Morgenstunden am Furry Glen gesehen hatte. Natürlich erwähnte sie so oft wie möglich den Herald – sie würde es nicht riskieren, Harry Heffernan zu verärgern, so lange die Lohnerhöhung nicht in Stein gemeißelt war –, achtete aber auch darauf, dass der Löwenanteil des Erfolgs ihr zufiel. Es war ja nicht so, dass sie es nicht verdient hätte. Sie musste nur hier und da ein paar Kleinigkeiten ausschmücken. Die vagen Umrisse, die sie gesehen hatte, ließen sich ohne Weiteres in bunten Farben ausmalen, das gespenstische Leuchten der Lichtbogenlampen in der Dunkelheit, die geisterhaft herumirrenden Leute von der Spurensicherung unten in der Senke, der traurige Anblick der Leiche, die auf der Bahre weggetragen wurde. Aber das beste Requisit zur Veranschaulichung ihrer Story war das riesige Papstkreuz – der schwarze Schatten vor der tiefroten, langsam aufsteigenden Sonne. Und es ging allen runter wie Öl.
    Was dazu führte, dass Pat Kennedy, nachdem er Siobhan gebeten hatte, auch in seiner Sendung aufzutreten, diese mit dem Bild des brennenden Kreuzes einleitete. Das ging den ganzen Vormittag so weiter, sie latschte von einem Studio zum nächsten, vom Radio zum Fernsehen und wieder zurück, und holte so aus der Sache heraus, was herauszuholen war, bis sie einfach nicht mehr die Kraft hatte, noch ein einziges Wort darüber zu sagen. Dann rief sie Gaffney an und bat ihn, die Limousine zu schicken, die er ihr versprochen hatte. Sie wollte nach Hause. Als sie auf dem weichen Ledersitz des luxuriösen Mercedes nach Hause schwebte, konnte sie die Augen kaum noch offen halten. Im Radio hörte sie, wie die Story von anderen übernommen und weiter ausgeschmückt wurde, so dass das Papstkreuz schon fast ein eigenes Leben bekam. Sie wusste, dass – während sie sich jetzt hinlegte – jeder Journalist und Berichterstatter dieses Bild übernehmen und als Sinnbild für jedwedes Problem und Unbehagen verwenden würde, das er mit dem Irland der Gegenwart hatte.
    Und sie wusste auch, dass die Story durch den Mord und das Bild des brennenden Kreuzes für einen Riesenwirbel sorgen würde: Der Priester würde zum Inbegriff von Schande und Schmach werden, wie es Irland seit Langem nicht mehr gesehen hatte. Nichts war schlimmer für eine Gesellschaft, die glaubte, etwas hinter sich gebracht zu haben, als bei jeder Gelegenheit wieder zurückgeworfen zu werden und sich von Neuem Sorgen darüber machen zu müssen. Und in Irland war der Katholizismus immer noch derart tief im Leben der Menschen verankert, dass er die unterschiedlichsten Reaktionen zeitigen konnte. Wobei besonders diejenigen, die glaubten darüberzustehen – es aber

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