Der Priester
vertieft, dass ihm ihre Rückkehr zuerst gar nicht aufgefallen war. Als er sie dann hinter sich bemerkte, hatte er die Seite sofort geschlossen und so getan, als wäre nichts gewesen. »Ich wollte mal ausprobieren, ob ich mit diesen Ausschnittservicen zurechtkomme«, behauptete er.
Aber sicher doch.
Was war es also? Aus dem Protokoll wusste sie, dass Mulcahys Schlüsselwort Gweedore lautete. Das hatte er bei praktisch allen Suchanfragen angegeben. Dazu war dann etwa ein Dutzend weiterer Kriterien gekommen, vor allem Gerechtigkeit, Recht und der Nachname Rinn . Das hatte ihm dann eine Menge Verweise auf einen alten Richter eingebracht, der vor Jahren gestorben war. Anfangs schien sich Mulcahy durchaus für diese Verweise zu interessieren, dann hatte er die Dateien jedoch so schnell durchgepeitscht, dass er kaum Zeit gehabt hätte, sie zu lesen. Am Schluss schien er nur noch recht wahllos die Begriffe Kruzifix, Folter und sexueller Missbrauch in seine Suchen eingestreut zu haben – was ihn aber anscheinend auch nicht weitergebracht hatte.
Sie rief die ursprüngliche Story wieder auf. Die Schlagzeile: TOT , DOCH NICHT VERGESSEN ? . Es war offenbar eine Art Rätsel, aber an wen richtete es sich? Der Autor hegte einen Groll gegen jemanden, doch gegen wen und warum? Und worum handelte es sich bei dieser »Missetat«, die er erwähnte?
Schlüsselworte.
Sie nahm einen Stift und notierte die Wörter, die ihr ins Auge stachen: Great Ones . Eine einfache Google-Suche brachte ihr exakt gar nichts, da der Begriff so vage war, dass darauf von spirituellen Spinnern bis zu brasilianischen Fußballspielern alles erschien. Sie versuchte es noch einmal mit Gweedore und 1988, fand aber auch da nichts außer jeder Menge Touristikwerbung und einer sinnlosen Aneinanderreihung historischer Daten. Sie wollte schon aufgeben, als ihr auffiel, dass sie den Browser auf Mulcahys Computer vorhin nicht geöffnet hatte. Sie hatte nur das Suchprogramm für die Archive aufgerufen und war davon ausgegangen, dass er wusste, wie man den Internetbrowser öffnete. Und offenbar hatte er das auch getan. Aber wann? Als sie auf der Toilette war?
Sie klickte in der Symbolleiste auf den Verlaufsbutton. Gott sei Dank hatte sie den Computer nicht heruntergefahren. Da war es, direkt unter ihren eigenen, neueren Suchen. Lauter Treffer, alle unter Donegal Courier … Archiv . Dieser hinterhältige Mistkerl. Mulcahy hatte hinter ihrem Rücken die lokale Presse in Donegal überprüft. Wieso hatte sie das nicht mitgekriegt? Sie klickte auf einen Link, der sie zur Suchseite des Donegal Courier brachte. Und da waren sie, die Schlüsselworte Gweedore und Körperverletzung – und auch das Datum 1988 . Sie sah sofort, dass das Archiv des Courier nur bis Mitte der Neunziger zurückreichte, also klickte sie direkt auf die letzte Seite, die Mulcahy sich angesehen hatte. Als sie sie sah, richtete sie sich auf und beugte sich zum Bildschirm. Es war ein Artikel aus dem Jahr 1997. Und genau wie der Artikel aus dem Archiv des Herald verwies er auf eine geheimnisvolle und offenbar schmähliche Begebenheit, die sich 1988 in Gweedore ereignet hatte.
Bingo.
Sie las den Artikel dann noch einmal, achtete dabei mehr auf die Details. Es war eine relativ klassische Gerichtsreportage über die erfolgreiche Verurteilung des Dubliner Geschäftsmanns Anthony Michael Blaney, der im Sommer 1997 am Ortsrand für sich und seine Familie ein Ferienhaus gemietet hatte. Er war mit Fäusten auf die einheimische Jugendliche Aidan Lowry losgegangen, die es offensichtlich gewagt hatte, sich eines Abends vor McCluskys Bar an Blaneys brandneuen BMW zu lehnen. Der Dubliner hatte versucht, die Affäre beizulegen, indem er den Garda bestechen wollte, der herbeigerufen worden war. Für Siobhan – und, wie sie annahm, auch für Mulcahy – wurde der Artikel erst im letzten Absatz interessant. Es handelte sich in jedem Sinne um eine beiläufige Bemerkung, aus der allerdings große Verbitterung sprach.
Nach der Verhandlung sagte Theresa Lowry, die Mutter des Opfers, vor dem Gerichtssaal, Blaneys Verurteilung wegen Körperverletzung sei ein Triumph für die einheimische Justiz. »Hier in Gweedore gibt es Menschen, die sich noch gut daran erinnern, wie 1988, also vor nicht einmal zehn Jahren, selbst schlimmste Vergehen vertuscht wurden, weil reiche und mächtige Männer sie mit einem Haufen Geld unter den Teppich kehren konnten. Wir alle erinnern uns an Helen Martin. Ja, und dieser Mann hat das auch
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