Der Priester
auf, nachdem sie unruhig geschlafen hatte. Fünfundzwanzig Minuten später verließ sie fertig geduscht, geschminkt und gekämmt das Haus. Ihren Kaffee konnte sie auch unterwegs trinken. Trotzdem war sie nicht vor Griffin im Büro. Nicht an einem Samstag. Er war schon so in den Reuters- oder PA -Ticker vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie sie hereinkam. Entweder war er auf der Suche nach einem echten Knüller, oder er sammelte ein paar profanere Sachen, die die Zuarbeiter und Redakteure im Laufe des Tages zu kleinen Artikeln und Meldungen ausarbeiten sollten. Sie begrüßte ihn mit einem »Hallo« und rechnete damit, dass er aufspringen und ihr zu einem weiteren erstklassigen Leitartikel gratulieren würde. Doch er hob nur kurz den knochigen Arm und drehte sich nicht einmal zu ihr um.
»Hast du meine Nachricht nicht gekriegt?«, fragte sie.
»Doch, hab ich«, sagte er knapp, sah sie aber immer noch nicht an.
»Und …?« Herrgott noch mal, der Mann konnte einen wirklich auf die Palme bringen.
»Und nichts weiter.« Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit versteinertem Gesicht an. »Wir bringen ihn nicht.«
»W as tun wir nicht? Erzähl doch keinen Scheiß. Du hast ihn doch noch gar nicht gesehen.«
»Ist nicht meine Entscheidung«, sagte er. »Als ich heute Morgen angekommen bin, hab ich Harry sofort zu Hause angerufen, um ihn auf die Sensation vorzubereiten. Herald-Journalistin bekommt Morddrohung vom Priester! Aus irgendeinem Grund hat er darauf bestanden, Lonergan davon in Kenntnis zu setzen – du weißt schon, den Superintendent, der die Mordermittlung leitet –, damit der dich rund um die Uhr schützen lässt.«
»Ach du meine Scheiße«, stöhnte Siobhan. »Wo ist Heffernan? Den bring ich um.«
»Ich hielt es erst für eine gute Idee«, sagte Griffin. »Das hätte die ganze Aufmerksamkeit auf dich und den Herald gelenkt, und solche Publicity kann man nicht kaufen.«
»Und was ist dann passiert?«, fragte Siobhan, die langsam merkte, worauf es hinauslief.
Griffin rieb sich die Augen, als könnte er sie nicht ansehen, während er den Rest erzählte. »Lonergan hat es abgelehnt und dann die ganze Nummer gestoppt. Offenbar haben sie Emmet Byrne heute wegen Mordes angeklagt, und jetzt behaupten sie, der Brief, den du bekommen hast, wäre wichtiges Beweismaterial.«
»Aber das ist doch Blödsinn!«, rief sie. »Es hat nichts mit Byrne zu tun.«
»Siobhan, ich glaube beim besten Willen nicht, dass man etwas dagegen sagen …«
»Hat Harry«, unterbrach sie ihn, »darauf hingewiesen, dass der Brief abgegeben wurde, nachdem Byrne in Gewahrsam genommen wurde?«
»Nein, hat er nicht …«
»Aber genau darum geht es doch!« Sie klammerte sich wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.
» Ich war es, Siobhan. Ich habe beim Generalstaatsanwalt höchstpersönlich angerufen, der mich dann eine halbe Stunde lang – vermutlich noch im Pyjama – am Telefon nach Strich und Faden niedergebrüllt und keinen Zweifel daran gelassen hat, was er uns alles in den Weg legen würde, wenn wir auch nur daran dächten, das zu veröffentlichen.«
»Und das war’s dann?« Sie zitterte jetzt vor Wut. »Das war’s ?«
»Yep.« Griffin nickte. »Harry sagt, es lohnt sich nicht, deshalb vor Gericht zu gehen.«
»Der hat leicht reden«, sagte sie. »Und irgendwelchen Personenschutz krieg ich sicher auch nicht.«
Griffin lachte. »Komischerweise nicht, nein.«
»Und was passiert jetzt?«
»Sie schicken um elf jemanden vorbei, der deine Aussage aufnimmt. Und um dieses Ding als Beweisstück aufzunehmen, worauf sie natürlich irgendwelche Ermittlungen einleiten werden oder solchen Quatsch.« Er lächelte mitfühlend, als sie ungläubig den Kopf schüttelte, dann legte er ihr eine Hand auf den Arm. »Darf ich es mir wenigstens angucken? Du hattest mir nur eine Fotokopie hiergelassen.«
Sie ging zu ihrem Schreibtisch, schloss die Schublade auf, in der sie das pergamentartige Hautstück über Nacht verstaut hatte, und reichte es Griffin. Er pfiff, als er es in der Plastikhülle betrachtete.
»Herrgott, das ist echt ein Knüller, was?« Als er merkte, dass das Beweisstück in einer Garda-Asservatentüte steckte, zog er die Augenbrauen hoch. »Woher hast du die denn?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ist ’ne lange Geschichte.«
»Ach. Na ja, man kann nicht immer gewinnen«, sagte er wieder breit lächelnd. »Und so, wie deine Karriere gerade abgeht, habe ich nicht die geringsten Zweifel, dass du noch genug
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