Der Priester
versucht, aber Gott sei Dank hat er keinen Erfolg gehabt. Jetzt können wir wenigstens sagen, dass die Gerichte in Donegal wieder Recht sprechen.«
Siobhan stieß langsam Luft aus. Sie hatte keine Zweifel, dass die abschließenden Worte sich auf denselben Vorfall bezogen, den Mulcahy bei der Suche im Archiv des Herald gefunden hatte. Gweedore. 1988. Reiche und mächtige Leute, die in einer abgelegenen Gegend Donegals etwas vertuscht hatten. Ihr Magen zog sich zusammen, sie spürte, dass sie auf etwas gestoßen war, wenn auch ohne zu wissen, worum es ging. Doch sie würde der Sache auf den Grund gehen. Sie notierte sich den Namen des Reporters, Eamon Doherty, rief eine neue Suche auf der Webseite des Donegal Courier auf und tippte ihn ein, um festzustellen, ob er noch dort arbeitete. Die Treffer prasselten förmlich auf sie herab.
Doherty arbeitete nicht nur noch dort, er war inzwischen Chefredakteur des Donegal Courier.
18
»Entschuldigung, Sir, darf ich Ihnen etwas zu trinken oder einen Snack anbieten?«
Mulcahy schlug die Augen auf, als er eine kurze Berührung an seiner Schulter spürte. Nein, lasst mich einfach schlafen, dachte er, dann begriff er, was die Stewardess ihn gefragt hatte, und schüttelte den Kopf. Er setzte sich etwas aufrechter hin und versuchte dabei, ihr nicht in die Quere zu kommen, als sie der Frau mittleren Alters neben ihm einen Fingerbreit klare Flüssigkeit in einem Plastikbecher und eine Dose kaltes Schweppes reichte. Er sah auf die Uhr. Fünf vor halb elf morgens, und die verteilten Gin Tonics, herrje. Und noch über eine Stunde bis zur Landung.
Er rieb sich die Augen. Offenbar war er direkt nach dem Start eingedöst. Er fühlte sich miserabel – und nach dem missmutigen Blick zu urteilen, dem ihm die Alkoholikerin neben sich beim Hinsetzen zugeworfen hatte, sah er offenbar auch so aus. Es war wohl besser, wenn er sich am Flughafen lieber noch einmal etwas frisch machte, bevor er in die Stadt fuhr. Er hatte kaum geschlafen, und das auch noch unruhig und von Alpträumen unterbrochen. In einem dieser Träume war Byrne in einem Lieferwagen zu Rinns Einfahrt gefahren, hatte Paula Halpin gesehen, sie gepackt und mit mordlüsternem Blick und einem Kreuz in der Hand in den Wagen gezogen. Die Szene hatte sich mehrmals wiederholt.
Die müden Knochen um sieben aus dem Bett zu wälzen, unter die Dusche zu stolpern und zum Flugplatz zu rasen, um seine Maschine zu erwischen, hatte auch nicht zur Verbesserung seines Allgemeinzustands beigetragen. Aber jetzt machte er wenigstens etwas Sinnvolles, außerdem freute er sich, mal wieder nach Madrid zu kommen, auch wenn es nur ein sehr kurzer Besuch war. Gestern Nacht vor dem Zubettgehen hatte er noch bei Gracia angerufen, um ihr mitzuteilen, dass er in die Stadt kam. Sie mussten noch jede Menge klären, nicht zuletzt, was mit der Wohnung passieren sollte. Aber sie ging nicht ran. Also hinterließ er eine Nachricht, in der er ankündigte, es nach der Landung noch einmal zu versuchen. Er fragte sich, warum sie mitten in der Nacht nicht zu Hause gewesen war, und konnte sich einen kurzen Anflug von Eifersucht – oder war es Besitzgier? – nicht ganz verkneifen. Er wusste, dass es lächerlich war, doch er konnte es nicht ändern.
Mulcahy reckte sich ungelenk auf seinem Sitz und streckte seine Arme. Dabei musste er daran denken, wie er Siobhan vor dem Sunday Herald in den Arm genommen und ihr einen Gutenachtkuss gegeben hatte. Sie hatte sich an ihn gedrückt. Warum zum Teufel fühlte es sich so gut an, obwohl es mit ihr offensichtlich niemals etwas werden konnte? Plötzlich spürte er eine Enge in seiner Brust, als ob seine Lunge sich zusammenzöge. Die Frau neben ihm rutschte noch etwas weiter von ihm weg, und er überlegte, ob sich so eine Panikattacke anfühlte. Das dauerte aber nur einen Moment, und als es vorbei war, rauschte eine Welle der Erleichterung durch seinen ganzen Körper. Er dachte an den Umschlag, den er beim Nachhausekommen auf der Fußmatte gefunden hatte und der sich jetzt im Koffer im Gepäckfach über ihm befand. Wie angekündigt hatte Healy Lonergan gefragt, ob Mulcahy versuchen sollte, von Jesica eine Identifizierung zu bekommen. Daher hatte er zwei vergrößerte Fotos von Emmet Byrne im Umschlag, zusammen mit den kurzen, etwas ungelenk hingekritzelten Worten: »Versuchen Sie’s.«
Vielleicht, dachte er, könnte er ja doch noch seinen Teil dazu beitragen, den Priester zu überführen.
Auch Siobhan stand um sieben Uhr morgens
Weitere Kostenlose Bücher