Der Priester
ohne Spekulationen – so gerechtfertigt sie auch sein mochten. Harry Heffernan hatte nicht die Absicht, Geld für womöglich endlose Gerichtsverhandlungen wegen Missachtung irgendwelcher Regeln zu verschwenden, und die Samstagszeitungen waren sowieso voll von Berichten über die Festnahme des Priesters. Anfangs wollten sie trotzdem Siobhans Artikel über Byrnes frühere Festnahme auf die Titelseite setzen, einfach weil es so aussah, als wäre das am nächsten Morgen noch eine Exklusivmeldung. Aber selbst dieser Artikel war von Heffernan so stark zurechtgestutzt und vom Anwalt überprüft worden, dass kaum noch etwas Interessantes drinstand. Und ihr »Ich habe die Leiche im Park gesehen«-Artikel, den sie immer noch im Mittelteil bringen wollten, fing an, wie der Schnee von gestern auszusehen, was er ja auch war, besonders weil sich in der Öffentlichkeit die Ansicht verbreitete, dass der Priester endlich sicher hinter schwedischen Gardinen saß.
Jetzt, wo Anklage gegen Byrne erhoben worden war, war die Story für Griffin und die anderen so lange gestorben, bis es vor Gericht weiterging. Nicht nur das, sondern jeder Mitarbeiter der Zeitung wusste, dass Griffin die Titelseite sofort freiräumen würde, falls im Laufe des Tages etwas Aufregenderes hereinkam, womit ihr Priester-Zeug irgendwo versteckt auf Seite sieben landen würde. Niemand, am allerwenigsten die Polizisten, die gekommen waren, um ihre Aussage aufzunehmen und das Beweisstück zu holen, schien auch nur im Entferntesten daran zu glauben, dass an der Idee, der Verrückte würde noch frei herumlaufen, etwas dran sein könnte. Womit sie auch die Hoffnung begraben konnte, einen Schuss ins Blaue zu wagen. Griffin würde es nie zulassen, dass sie schrieb, Byrne könnte womöglich der falsche Mann sein. Wenn sonst nichts los war vielleicht, aber nicht an dem Tag, an dem über die Verhaftung berichtet wurde, und heute schon gar nicht.
Dass Griffin wahrscheinlich recht hatte, interessierte sie dabei nur am Rande. Der Verdacht schnürte ihre Eingeweide fester ein als ein Magenband, und er nahm einfach nicht ab. Sie brauchte nur etwas Zeit. Mulcahy hatte irgendetwas entdeckt, davon war sie überzeugt, und sie war fest entschlossen herauszufinden, was es war. Aber im Moment musste sie sich um die Arbeit kümmern, für die sie bezahlt wurde, und dabei möglichst wenig Aufsehen erregen. Vielleicht konnte sie ja in der Stunde, die Griffin mit Heffernan und den anderen Redakteuren in der Redaktionskonferenz verbrachte, ein paar eigene Anrufe erledigen und die Kugel ins Rollen bringen.
Kaum war Griffin verschwunden, hing sie am Telefon.
»Hallo, Donegal Courier« , meldete sich jemand mit starkem Akzent. Sie hatte sofort das Bild einer finster blickenden, dicken Frau in einem Fleecepullover und mit einem Schokoladeneclair vor Augen.
»Ich würde gerne mit Eamon Doherty sprechen.«
»Er ist nicht da – ich bin die Einzige hier bei den Kleinanzeigen.«
Siobhan brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass der Chefredakteur einer regionalen Wochenzeitung an einem Samstag nicht ins Büro zu kommen brauchte, sondern am Wochenende freihatte wie ein ganz normaler Mensch.
»Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann? Es ist dringend.«
Am anderen Ende der Leitung wurde ein tiefer Seufzer ausgestoßen. »Ich denke, er wird jetzt auf dem Golfplatz sein. Samstagmorgens spielt er normalerweise eine Runde. Sie können ihn auf seinem Handy erreichen.«
»Und wie ist seine Handynummer?«
»Diese Information geben wir am Telefon nicht heraus.«
Trotz allen Bittens und Flehens konnte Siobhan die Frau nicht überzeugen, ihr die Nummer zu geben. Nach ein paar Schmeicheleien erklärte sie sich jedoch bereit, Doherty anzurufen und ihm Bescheid zu sagen, dass er Siobhan anrufen solle.
»Sagen Sie ihm, Siobhan Fallon vom Sunday Herald in Dublin will ihn sprechen. Und bitte weisen Sie auch darauf hin, dass es dringend ist.«
Leise vor sich hin grummelnd legte Siobhan auf. Sie war sicher, dass die Frau ihrer Bitte nicht Folge leisten würde. In der Zwischenzeit sah sie ihre Kontakte durch und suchte nach anderen Leuten, die Verbindungen zu Doherty haben und seine Nummer kennen könnten. Gerade hatte sie ein paar entsprechende Kandidaten herausgesucht, als das Telefon klingelte.
»Hallo, hier ist Eamon Doherty vom Courier .«
»Wow, das ging ja fix.«
»Spreche ich mit der Siobhan Fallon?«
Ein angenehmer Schauer durchzuckte sie, als er das sagte. So ähnlich hatte sie sich das Leben
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