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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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wissen das wirklich zu schätzen. Wenn wir über die normalen Kanäle hätten gehen müssen, wären wahrscheinlich noch Wochen vergangen, so wie ich euch verdammten Spanier kenne.«
    Er lächelte Martinez zu, der auch ein breites Grinsen aufsetzte und das Gaspedal weiter durchtrat, worauf sich das Motorgeräusch von einem Schnurren zu einem Grollen verwandelte und der Wagen mit noch aberwitzigerem Tempo dahinraste. Bei dem Tempo war der Luftstrom an den Ohren zu laut für ein Gespräch. Mulcahy kauerte sich etwas tiefer in den anschmiegsamen Ledersitz und überließ sich ganz der Geschwindigkeit und dem Hochgefühl, wieder in Madrid zu sein. Als sie die Außenbezirke erreichten und der Verkehr sich zu einem städtischeren Kriechen verlangsamt hatte, war er entspannter als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten Wochen. Er plauderte etwas mit Martinez, der weitere Einzelheiten über die Geschichte des Priesters erfahren wollte, während Mulcahy sein unzulängliches Wissen über den mächtigen Politiker aufzubessern versuchte, den er am Nachmittag kennenlernen sollte: Don Alfonso Mellado Salazar.
    »Du musst wissen, dass die meisten unserer aktuellen Politiker zu Francos Zeiten noch in der Windel lagen«, sagte Martinez, »Don Alfonso ist aber damals schon in der Politik gewesen. Er war einer der Neuerer, die den reibungslosen Übergang zur Demokratie gewährleisten sollten, und einer von ganz wenigen, deren Karriere das überlebt hat. Ich glaube, das liegt daran, dass er seine Meinung ändern kann, ohne dabei scheinheilig zu wirken wie die meisten anderen. El Juez – so nennen sie ihn: den Richter. Er ist hart, wird aber respektiert. Und ein großer Katholik ist er auch. Das gefällt vor allem vielen älteren Menschen.«
    Mulcahy nickte. »Er muss schon ziemlich alt sein. Soweit ich mich an die alten Nachrichtensendungen erinnere, sah er mehr nach einem Opa als nach einem Vater aus.«
    »Richtig. Bei Jesicas Geburt muss er um die sechzig gewesen sein. Seine erste Frau ist in den Achtzigern bei einem ETA -Anschlag von einer Autobombe getötet worden. Ein paar Jahre später hat er noch einmal geheiratet, eine sehr schöne, sehr aristokratische Dame mit vielen Namen und Titeln. Aus der Ehe stammt Jesica. Diese zweite Frau ist dann aber auch auf sehr tragische Weise gestorben. Ich glaube, er arbeitet nur noch, um das alles zu vergessen. Vielleicht hat er deshalb seine Tochter so schnell aus Dublin zurückgeholt. Mir ist schon klar, dass euch das Probleme bereitet hat, Mike, aber sie ist sein Ein und Alles.«
    Mulcahy zuckte die Achseln, wollte sich in dem Punkt nicht festlegen. Er ließ seine Gedanken schweifen, als er sich umsah. Alles war fremd und doch so vertraut – vor nicht allzu langer Zeit war das sein Leben gewesen. Die Hitze und das Licht, selbst die braune Dunstglocke, die stets über der Stadt lag, waren ihm damals normal vorgekommen. Als Martinez die große Achse der Avenida de América entlang- und weiter nach Castellana hineinfuhr, fühlte sich Mulcahy plötzlich wieder daheim. Die hupenden Autos, das wespenartige Summen der Motorroller, das hektische, geschäftige Treiben der Menschen, die immer in Bewegung waren – lange Zeit hatte ihn das seine eigene Lebendigkeit spüren lassen. Er fand es in diesem Moment sogar schwer nachvollziehbar, dass er die Rückkehr nach Dublin überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Die wohlbekannten Anblicke und die vertraute Geräuschkulisse nahmen ihn so gefangen, dass er zu spät merkte, dass Martinez die falsche Abzweigung vom Plaza de Cibeles genommen hatte und die Gran Vía entlangfuhr.
    »He, wo willst du hin, Jav?«, protestierte er. »Ich dachte, wir fahren erst zu dir ins Büro. Vor dem Treffen mit Salazar muss ich mich unbedingt noch ein bisschen frisch machen.«
    Martinez machte keine Anstalten zu wenden, sondern er grinste Mulcahy an und tippte auf seine Rolex.
    »Das machen wir nachher. Du warst auf Reisen, also musst du etwas essen. Zum Glück plane ich voraus und habe fürs Mittagessen einen Tisch im La Bola gebucht. Du siehst aus, als könntest du einen Cocido madrileño brauchen, damit du wieder ein bisschen Farbe in die Wangen kriegst.«
    Was Siobhan betraf, hätte der Vormittag kaum schlechter laufen können. Im Kielwasser von Griffins morgendlichem Geplänkel mit der Staatsanwaltschaft gab es eine Anweisung vom Herausgeber, die Priester-Story zurückhaltend zu behandeln. Also mussten sie sich auf die ganz normale Berichterstattung konzentrieren:

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