Der Priester
hatte. »Klingt logisch.«
»Warum haben Sie das gefragt?«
»Ich habe gerade erfahren, dass in Dublin noch ein Mädchen vermisst wird.«
»Aber Sie haben doch schon einen Mann in Gewahrsam genommen?«
»Ja, Doktor«, sagte Mulcahy leise. »Fragt sich nur: Ist das wirklich der richtige Mann? Im Augenblick ist Jesica das einzige Opfer, das uns vielleicht weiterhelfen kann.«
»Allerdings sagt sie, sie hätte ihn nicht gesehen.«
Mulcahy rieb sich frustriert die Stirn, doch plötzlich blitzte die Erinnerung an seine Begegnung mit Jesica in Dublin wieder auf, als sie im Krankenhaus lag, die rote Strieme an ihrem Hals abtastete und verwirrt mit schmerzerfüllter Stimme sagte:
Hizo la señal de la cruz.
Da hatte er die Antwort. Mulcahy drehte sich wieder zu Dr. Mendizabal um, sah ihr direkt in die Augen und war sich sicher, dass sie ihn verstand.
»Als ich am Tag des Überfalls mit Jesica gesprochen habe, hat sie mir erzählt, dass der Angreifer sich bekreuzigt hat.«
»Und?«
»Verstehen Sie nicht?«, sagte Mulcahy und führte ihr die Geste vor, wobei er die Bewegung etwas übertrieben ausführte, als er mit der Hand die Stirn, die Brust und dann nacheinander beide Schultern berührte. »Wenn sie das gesehen hat, muss sie auch sein Gesicht gesehen haben. Selbst wenn sie sich jetzt nicht mehr daran erinnert.«
Als die Psychiaterin die Bedeutung dieser Worte begriff, strich sie mit der rechten Hand die weiße Baumwolle auf ihrer linken Schulter glatt. Mulcahy fragte sich, ob sie sich dieser Angewohnheit bewusst war, die er in schwierigen Situationen während der Vernehmung schon mehrfach beobachtet hatte.
»Natürlich muss ich mich in erster Linie um die therapeutischen Bedürfnisse meiner Patienten kümmern, Inspector«, sagte sie schließlich. »Und wir bräuchten sowohl die Erlaubnis von Don Alfonso als auch Jesicas Einwilligung. Aber ich denke, unter diesen Umständen könnte ich befürworten, es mit Hypnose zu versuchen. Jesica möchte Ihnen unbedingt helfen, und man sieht, dass ihr ihre Unfähigkeit, das zu tun, ernsthaft zu schaffen macht. Man könnte argumentieren, dass wir zu ihrer emotionalen Gesundung beitragen, indem wir ihr helfen, über das Erlebte zu reden.«
Zu Mulcahys Überraschung bot Dr. Mendizabal sogar an, zu Salazar zu gehen, ihm diese Vorgehensweise nahezulegen und seine Erlaubnis einzuholen. Kaum war sie weg, wollte Mulcahy Siobhan anrufen, brach dann aber ab und fragte sich, wie er denn auf den Gedanken kam. Steckte er etwa plötzlich mit ihr unter einer Decke? Also suchte er stattdessen Brogans Nummer heraus, wurde jedoch direkt an ihre Mailbox weitergeleitet. Er fluchte und legte auf. Aber welchen Wert hatte es überhaupt, sie anzurufen, wenn er bisher noch nicht einmal das kleinste Beweisfitzelchen für sie hatte. Er setzte sich schwer atmend auf einen Stuhl im Flur und überlegte, was er als Nächstes machen sollte. Wenn alles gut lief, war er vielleicht gezwungen, diesen Anruf doch noch zu machen. Und zwar schon bald. Im Moment jedoch wäre es idiotisch von ihm, seine Zukunft einer Mailbox anzuvertrauen.
Es dauerte nicht lange, bis Jesica in Trance war. Im gedämpften Licht des Zimmers hatte Mulcahy gebannt zugesehen, wie die Psychiaterin sie eingeleitet hatte, indem sie Jesica bat, sich aufs Sofa zu legen. Dann forderte sie sie auf, sich auf einen bestimmten Punkt an der Decke zu konzentrieren und sich zu entspannen. Sie erzählte ihr, dass ihre Augenlider jetzt langsam schwer würden, dann der Körper, die Gliedmaßen, eins nach dem anderen. Alles würde warm und schwer werden. Sie solle sich einfach entspannen, sich der Wärme und Ruhe hingeben, sich weiter entspannen, die Unruhe und das Leid der Welt vergessen, die Wärme und Schwere in ihren Gliedmaßen spüren, im Hals, im Kopf, sich entspannen …
Nach höchstens zwei oder drei Minuten lag das Mädchen ganz ruhig da, und die einzigen Lebenszeichen waren die sich langsam hebende und senkende Brust und die etwas unruhig flackernden, geschlossenen Augenlider. Mulcahy war überrascht gewesen, als Jesica dieser Prozedur so bereitwillig zugestimmt hatte. Aber vielleicht hielt sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen, das mentale Trauma anzugehen, nachdem die körperliche Heilung schon so weit fortgeschritten war.
Mulcahy sah zu, als die Psychiaterin ein paar kurze Tests durchführte, ob Jesica wirklich richtig in Trance war. Sie forderte Jesica auf, den Zeigefinger der rechten Hand zu heben, was diese dann auch tat. Dann
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