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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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rauskriegst. Vielleicht springt ja noch eine Viertelspalte dabei raus. Frag auch deinen Kontaktmann bei der Polizei. Ich will wissen, ob Lonergan und seine Leute das überhaupt mitgekriegt haben. Wenn nicht, hau sie richtig in die Pfanne.«
    »Danke, Paddy. Ich liebe dich – manchmal.«
    »Ich glaub dir kein Wort«, sagte er und wandte sich ab, damit sie nicht sah, dass er grinsen musste.
    Mulcahy hatte angenommen, dass sie in ihr Schlafzimmer gehen würden. Er war davon ausgegangen, dass es Jesica noch so schlecht ging, dass sie im Bett lag. Daher war er erleichtert, als er merkte, dass der Raum, in dem die Vernehmung stattfinden würde, ein ganz normales, bequem eingerichtetes Wohnzimmer war. Und dass Jesica Salazar sich inzwischen – wenige Wochen nach der Tortur – so weit erholt hatte, dass sie wieder auf den Beinen war. Sie kauerte in einer ausgebeulten, grauen Jogginghose, dazu passendem Kapuzenpullover und makellos weißen Turnschuhen auf einem kleinen Sofa und sah aus wie ein Mädchen, das versuchte, ein ganz normaler Teenager zu sein. Aber nichts, weder die langen Haarsträhnen, mit denen sie herumspielte, um sich dahinter zu verstecken, noch das große Kissen, das sie sich schützend an die Brust drückte, konnte die Blutergüsse verdecken, die ihr Gesicht immer noch stellenweise verfärbten und verunstalteten. Dazu kamen die großen, dunklen Tränensäcke unter ihren Augen. Sie schien bis in die letzte Faser misstrauisch zu sein, angespannter als eine Sprungfeder.
    Die Psychiaterin fragte Jesica, ob sie Mulcahy erkenne. Das Mädchen musterte ihn besorgt, als ob sie etwas falsch gemacht hätte, und antwortete dann, dass sie das nicht täte.
    »Wir sind uns in Dublin im Krankenhaus begegnet«, sagte Mulcahy. »Meine Kollegen wollten Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich habe dabei gedolmetscht.«
    Jesica griff sich an den Hals. Mulcahy wusste nicht, ob die rote Schwiele dort und am Nacken noch zu sehen war, da der Kragen ihres geschlossenen Kapuzenpullovers diesen Bereich verdeckte. Aber offensichtlich sagten ihr die Worte etwas, denn sie nickte, antwortete knapp »sí« und senkte den Kopf.
    »Wir haben ja schon darüber gesprochen, Jesica«, sagte die Psychiaterin. »Der Inspector muss dir ein paar Fragen stellen. Bist du schon so weit, dass du das hinkriegst? Was meinst du?«
    Jesica antwortete nicht, hob den Kopf und fragte, ohne Mulcahy dabei direkt anzusehen: »Haben Sie mein Kreuz und die Kette gefunden?«
    »Nein, das suchen wir noch.«
    »Es ist von meiner Mutter«, sagte sie aufgebracht.
    »Oh. Wir tun alles, um es zu finden.«
    Wieder hob sie den Kopf, dieses Mal sah sie ihm direkt in die Augen und sagte wütend: »Er hat es, oder?«
    In ihrem Blick lagen Schmerz, Angst und mehr als all das: Demütigung. Doch bevor er antworten konnte, ging die Psychiaterin dazwischen.
    »Vielleicht sollten wir uns am Anfang um etwas Konstruktiveres kümmern.« Sie sprach schnell mit einem ihm unbekannten Akzent, daher musste er sich stark konzentrieren, um alles zu verstehen. »Man hat mir gesagt, Inspector, dass Jesica in ihren eigenen Worten erzählen sollte, was in der Nacht passiert ist. Vielleicht sollten wir erst einmal dabei bleiben.«
    »Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass ich mich an nichts erinnern kann«, klagte Jesica. »Ich hab Ihnen doch schon alles erzählt.«
    Der Zorn des Mädchens richtete sich offenbar mehr gegen die Psychiaterin als gegen ihn, also schwieg Mulcahy ein paar Sekunden lang. Als die Spannung sich etwas gelegt hatte, beugte er sich vor und sah Jesica in die Augen.
    »Ich weiß, dass es schwer für dich ist, Jesica«, sagte er. »Aber wenn du mir so nichts erzählen kannst, darf ich dir denn ein paar Fragen stellen?«
    Das Mädchen ließ sich erweichen. Langsam und vorsichtig begann er dann, die Fragen von der Liste zu stellen, die er sich gemacht hatte. Er fragte noch einmal nach ihrem Besuch im GaGa-Club, mit wem sie dort gewesen war und wann und mit wem sie ihn wieder verlassen hatte. Aber ob sie nicht wollte oder nicht konnte, auf jeden Fall war sie noch weniger in der Lage, die Fragen zu beantworten, als am Tag des Überfalls. Die wenigen Antworten, die sie gab, bekam sie nur sehr langsam und stockend heraus. Offenbar kehrten die schmerzlichen Erinnerungen nur sehr zögerlich zurück. Mulcahy hatte Mitleid mit ihr, weil sie anscheinend ihr Bestes gab, sich jedoch erkennbar dafür schämte, dass das Hauptaugenmerk seiner Fragen auf dem lag, was ihr passiert war. Mach einfach

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