Der Priester
und schrieb den Namen des Anrufers darauf.
»Nein, keine Sorge, der Umschlag wird da sein – sofern die Story einer Überprüfung standhält. Und vielen Dank, ja? Ich heiße Siobhan Fallon, vielleicht sollten Sie sich meinen Namen merken, falls Sie irgendwann noch mehr haben, okay?«
Sie legte auf, zog ihr Handy aus der Tasche und wählte Bishops Nummer. Sie wurde sofort zur Mailbox durchgestellt.
»Hi, Vincent, hier ist gerade noch etwas reingekommen, daher werde ich mich etwas verspäten. Falls Sie wegmüssen, rufen Sie mich bitte kurz an.«
Dann schaltete sie das Handy aus, setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und dachte scharf nach, wobei ihr Blick hektisch hin und her sauste. Nach gut zwei Minuten zog sie ihre Jacke aus und drückte die Leertaste auf der Tastatur, worauf der Bildschirm wieder zum Leben erwachte. Konzentriert klickte sie auf dem Bildschirm herum, öffnete ihren Kontakte-Ordner und scrollte die lange Liste mit Namen, Anmerkungen und Telefonnummern herunter, bis sie das Gesuchte gefunden hatte. Sie tippte eine Nummer ins Telefon und wartete.
»Hi, spreche ich mit dem Hauptquartier der Garda Síochána? Hören Sie, ich weiß, dass es spät ist, aber ist Des Consodine noch da? Sergeant Consodine, meine ich …«
Es war ein ruhiger, klarer Abend. Das helle Blau des leicht bezogenen Himmels bog sich tief herab und küsste am Horizont das glatte, grüne Meer, als Mulcahy auf der Strand Road in Richtung Süden fuhr. Ausnahmsweise war er froh über den stockenden Verkehrsfluss. Erschöpft ließ er den Blick über den dunklen, nassen Sand in der lang geschwungenen Dublin Bay streifen. Es war Ebbe, also war das Wasser fast einen halben Kilometer weiter draußen, so dass dort jetzt Hunde spazieren geführt wurden, Liebespaare Arm in Arm gingen und weit draußen auch ein paar Angler ihre Köder ausgeworfen hatten. Als er im Stau stand und auf die riesigen rot-weißen Schornsteine des Pigeon-House-Kraftwerks hinausblickte, kehrten Erinnerungen an seine Kindheit zurück. An ausgedehnte Strandspaziergänge, Paddeln im kalten, klaren Wasser, das Fangenspielen mit den langen, flachen Wellen, die bis zu den Knien hochgekrempelte Hose seines Vaters und die unerschütterliche Sicherheit seiner starken Hand, mit der er ihn festgehalten und vor allem und jedem beschützt hatte. Hinterher hatte es am Kiosk im Martello Tower oft noch ein Eis gegeben, oder sie waren nach Dun Laoghaire gefahren, um auf der Seaspray eine Fahrt durch die Bucht zu machen.
Als sich die Autoschlange schließlich weiterbewegte, lenkte er den Saab aus einer Laune heraus auf einen der in regelmäßigen Abständen eingerichteten Parkstreifen, von denen man einen schönen Blick aufs Meer hinaus hatte. Eigentlich war Dublin doch gar nicht so übel, dachte er, wenn er nur dieses schreckliche Gefühl loswerden könnte, dass er ohne Anker im offenen Meer trieb. Er stellte den Motor aus und betrachtete die ruhige, stille Bucht vor sich. Das schwache Abendlicht schien über dem Wasser zu schweben und es niederzudrücken, als wollte es es noch weiter beruhigen. Diese Ruhe stand im absoluten Widerspruch zu dem Katalog von Misshandlungen, mit denen er sich den ganzen Nachmittag lang beschäftigt hatte. Aber diese Momente stiller Schönheit waren für ihn schon immer ein wichtiger Teil Dublins gewesen – der Teil, den er nach seinem Umzug nach Madrid sehr vermisst hatte, als ihn der Lärm und die Hast des spanischen Alltagslebens fast erschlagen hätten. Er hatte sich dann natürlich schnell daran gewöhnt und war fast süchtig geworden nach der Ausgelassenheit der Madrileños und ihrer Liebe für Farben, Lärm und Spektakel. Als er Gracia, seine spätere Frau, kennenlernte, hatte er sich in die Ruhe verliebt, die sie ausstrahlte. Aber am Ende hatte das nicht gereicht. Es hatte bei Weitem nicht gereicht.
Er stützte den Kopf in die Hände und spürte, wie sein Handy in der Jackentasche verrutschte. Er zog es heraus und starrte darauf, scrollte die Anrufliste zurück, bis er Siobhan Fallons Nummer sah. Rein äußerlich konnte er sich kaum einen Menschen vorstellen, der weniger Ähnlichkeit mit Gracia hatte. Abgesehen von den Haaren natürlich. Und vielleicht den Augen. Aber auch Siobhan besaß eine ganz eigene Schönheit. In ihrem Fall war es jedoch keine innere oder schlummernde Kraft. Sie ging offen und direkt auf die Welt los. Er drückte die Anruftaste, wurde aber direkt zu ihrer Mailbox durchgestellt.
»Hi, Siobhan, hier ist Mike Mulcahy.
Weitere Kostenlose Bücher