Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
» Für dich habe ich heute einen besonderen Auftrag, Vil « , sagte er dann. » Ich habe hier einen Brief für einen der Obersteiger der Wolfsmine. Kennst du dich auf der Stahlseite aus? Gut. Du übergibst ihn und wartest auf Antwort. Am besten, du kommst nicht vor dem späten Abend zurück. Vielleicht auch erst morgen früh. Wenn dieser falsche Krüppel dich erkannt hat, dann kommen die Wachen vielleicht hierher, und dann ist es besser, du bist fort. Verstanden? «
Vil nickte stumm. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er den Meister angelogen hatte, aber es war doch wirklich ein Unfall gewesen, und der Arzt hatte den Tod verdient.
Ein kalter Wind blies durch sein neues Hemd, als er eilig nach Norden lief. Er fühlte sich eigenartig. Er hatte einen Menschen getötet, das war das schwerste aller denkbaren Verbrechen, so hatte er es zumindest gelernt. Sollte er sich nicht schuldig fühlen? Meister Turro hatte von Sünden gesprochen und von den Priestern, und er hätte ihm sicher noch eine längere Predigt gehalten, wenn die Zeit nicht so gedrängt hätte.
Aber seine Mutter hätte diese Tat sicher gutgeheißen. Der Arzt hatte Faras sterben lassen. Nein, Vil hatte kein schlechtes Gewissen. Er hatte den Tod seines Bruders gerächt. Und das fühlte sich richtig und gut an.
» Bemerkenswert « , sagte Bruder Melid, der schon länger über die Leiche gebeugt im Flur stand und ihr ins Gesicht starrte. » Dieser Mann litt zu Lebzeiten unter einem schlimmen Schielen, aber der Tod scheint diese Fehlstellung der Augen korrigiert zu haben. «
» Ihr kanntet ihn? « , fragte Livus Lizet und konnte seinen Blick nicht von dem Toten lösen. Er kannte ihn selbst oder vielmehr hatte ihn einst gekannt.
» Flüchtig. Er durchlief unsere Akademie, wie die meisten Ärzte der Stadt. Erinnert Ihr Euch an die letzte Sumpffieberepidemie? «
» Vor fünf oder sechs Jahren, nicht wahr? Ja, ich erinnere mich. «
» Vor neun Jahren, Leutnant, vor neun! Galenes Celsor hat damals sehr dazu beigetragen, ein Heilmittel zu finden. Seit der Zeit können wir das Fieber im Keim ersticken, sobald es sich zeigt. «
Du warst schon immer ein kluger Kopf, Galenes, dachte Lizet und fragte: » Ich hörte, er behandelte vor allem die Armen? «
» Es sind ihm bedauerlicherweise einige Patienten unter den Händen weggestorben, dann dieses Schielen – zu ihm kamen nur noch die, die es sich nicht leisten konnten, einen anderen Arzt zu rufen. «
» Er war außerdem ein Trinker, oder? «
» Woher wisst Ihr das? «
» Das aufgedunsene Gesicht, das vernachlässigte Äußere, das heruntergekommene Haus. «
» Das mag sein. Kanntet Ihr ihn? Er muss etwa zur selben Zeit wie Ihr zu uns gekommen sein. «
» Flüchtig « , erwiderte Lizet, was weniger als die halbe Wahrheit war, und er fügte hinzu: » Ich habe ihn nach der Zeit auf der Akademie aus den Augen verloren. «
Melid zog Feder und Pergament aus der Tasche. Er hatte wohl nicht zugehört. » Das mit dem Schielen muss ich mir notieren. Bruder Hawid ist wieder in der Stadt. Er wird begeistert sein, das zu erfahren. Vielleicht können wir eines Tages sogar das Schielen heilen. «
» So wie der Tod, indem Ihr die Leute umbringt? « Es klang bitterer als beabsichtigt, und Melid warf ihm einen irritierten Blick zu.
Lizet wechselte das Thema: » Jedenfalls war das hier kein gewöhnlicher Einbruch. Das Laboratorium ist zwar durchwühlt, aber ich sah etliche Gegenstände von Wert, die ein Dieb nicht zurückgelassen hätte. «
» Aber warum sollte jemand diesen Arzt umbringen wollen? Er hat den Leuten hier unten doch geholfen. Wenigstens hat er es versucht. «
Auch Lizet fragte sich, womit Galenes diesen Tod und dieses Leben zuvor verdient hatte. Er war erschüttert, seinen Freund aus den Tagen der Akademie tot zu sehen, aber ebenso erschütterte ihn zu sehen, wie weit der einst hoffnungsvolle junge Arzt heruntergekommen war. Und er konnte nicht mehr für ihn tun, als seinen Mörder zu finden. » Ich denke, wir werden den Grund bald kennen. Ein Verdächtiger wurde gesehen, und wir wissen, in welche Richtung er gelaufen ist. «
» Ich wette, er kommt aus dem Katzenviertel wie alle Verbrecher. «
» Diese Wette würdet Ihr verlieren, Melid. Er lief Richtung Meer, ins Goldbodenviertel, wo die neuen Gießereien und Schmieden stehen. «
Lizets Untergebene hatten einen Zeugen aufgetrieben, einen jungen Bettler, der so tat, als seien seine Beine verkrüppelt: » Ja, ich habe ihn gesehen, Herr, er hat mich
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