Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
ahnte er schon, dass man ihn ausgetrickst hatte. Da baumelte ein Korb an einem Seil vor der Mauer. Er legte den Kopf in den Nacken und sah viele, viele Ellen weiter oben zwei dunkle Punkte auf der Mauerkrone, die ihm jetzt zuwinkten. Er fluchte. Nein, da oben hatte er niemanden aufgestellt. Die Diebe ließen den Korb ein wenig am Seil tanzen, vielleicht, um ihn zu verhöhnen. Auf halber Höhe der Alten Mauer gab es einen zweiten Korb, ein schmaler Kasten ragte über den Rand. Also hatten sie die Schatullen wirklich.
Fluchend deponierte Lizet die dreitausend Kronen im Korb und sah zu, wie sie Richtung Himmel entschwanden. Dann senkte sich der andere Korb herab. Er schnitt ihn rasch vom Seil. Ja, es waren drei Schatullen, versehen mit dem Zeichen der Bruderschaft. Zwei waren versiegelt, bei der dritten jedoch war das Siegel aufgebrochen.
Eigentlich hätte er jetzt seine Leute zusammenrufen und auf die Jagd schicken müssen, aber er bezweifelte, dass sie irgendetwas finden würden. Bis sie auf dem Tempelberg waren, würden die Diebe lange verschwunden sein. Sie hatten ihn wirklich nach allen Regeln der Kunst übertölpelt – und jetzt führten sie ihn auch noch in Versuchung.
Ghula Mischitu hatte ihm nicht verboten, sich den Inhalt der Kästen anzusehen. Er musste ungeheuer wichtig und wertvoll sein, wenn die Ghula fand, dass dreitausend Kronen ein lächerlicher Preis dafür waren. Lizet betrachtete den schlichten Deckel, der nichts über den Inhalt verriet.
Dann wurde ihm klar, dass die Ghula ohnehin annehmen würde, dass er hineingesehen hatte – also konnte er das auch einfach hier und jetzt tun. Er schlug den Deckel zurück. Verblüfft starrte er auf den Inhalt. Sorgsam eingebettet in ein passgenaues samtenes Futteral ruhten dort acht graue, pockennarbige Steine. Er bemerkte, dass zwei fehlten, aber eigentlich stand er nur mit offenem Mund da und staunte. Es waren keine Diamanten, kein geheimnisvolles Pulver, kein Gold, kein magischer Dolch, nein, graue, unscheinbare Steine.
Kurz entschlossen nahm er einen aus dem Futteral. Er fühlte sich stumpf, beinahe sandig an. Falls ihn eine magische Aura umgab, merkte er davon nichts. Er rieb vorsichtig die oberste Schicht ab und hielt ihn gegen das Licht.
» Ah! « , sagte er, als er bemerkte, dass das, was ihn an Pockennarben erinnerte, in Wahrheit kristalline Strukturen waren. Die Sonne brach sich leicht an den Kanten. Das war hübsch anzusehen, aber das konnte doch nicht alles sein. Lizet legte den Stein zurück. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was diese Steine so wertvoll machte.
» Ich finde, sie sehen hübsch aus « , sagte Tiuri.
» Wie Steine eben « , meinte Vil spöttisch. » Ich habe drüben im Rinnstein noch ein paar liegen sehen – soll ich sie dir auch holen? «
» Auf jeden Fall sind sie wertvoll « , warf Peker ein.
» Schau, wenn du oben den Sand abreibst, fangen sie an zu schimmern. Da sind Kristalle im Stein, siehst du. « Tiuri hielt den Stein vor eine der Kerzen.
Sie saßen im kleinen Lager ihres Ladens auf einigen Getreidesäcken und aßen kalte Fleischpasteten, die ihnen ihr Nachbar offeriert hatte, angeblich eine Spezialität aus seiner fernen Heimat. Das war seine Art, sich für eine sehr günstige Lieferung von frischem Rindfleisch zu bedanken.
Vil hatte entschieden, dass sie zur Tarnung damit handeln würden, ebenso mit Reis, Weizen und Gemüse, eigentlich allem, was Sester Elgos in Gremms Lagerhäusern besorgen konnte. Er fand jetzt schon, dass es sich gelohnt hatte, denn die Pasteten waren auch kalt ausgezeichnet.
» Das Geheimnis ist das Fleisch « , hatte der Metzger verraten. » Da ist Malakin drin, ein Tier, das in meiner Heimat recht häufig ist. «
Tiuri, die sich schon wie eine kleine Hausfrau gebärdete, wollte ihn bei nächster Gelegenheit nach dem Rezept fragen. Vil lächelte in sich hinein, weil ihm das alles so ungeheuer fremdartig » normal « vorkam.
» Ich kenne einen Gemmenschneider im Goldbodenviertel, der da sicher etwas Hübsches herausschneiden könnte. Er vollbringt wahre Wunder « , meinte Gibean, der fasziniert den Stein betrachtete.
Vil nahm Tiuri den Stein ab. » Leider werden wir nie erfahren, was dieser Mann vollbringen kann, weil wir diese Steine erst einmal tief unten im hintersten Winkel unseres Kellers verstecken werden. Wenigstens so lange, bis wir wissen, was man damit macht. «
Tiuri verzog beleidigt das Gesicht. » Ich würde sie gerne behalten. «
» Sie gehören meinetwegen dir, aber
Weitere Kostenlose Bücher