Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
leisen Wisperns, der auf- und abschwoll und sie begleitete, seit sie aufgebrochen waren. Im Leben mochten diese Männer Feinde gewesen sein, im Tod waren sie einig– sie wollten diese unwirkliche Ebene zwischen den Welten verlassen, und sie hatten Sahif auserkoren, sie in die Freiheit zu führen. Er hatte leider noch keine Ahnung, wie er dieses Wunder bewerkstelligen sollte. Die Ebene war von einer Art magischen Mauer umgeben– wie sollte er die einreißen? Und was würden diese Geister tun, wenn er versagte? Und was, wenn er Erfolg hatte?
»S ie werden uns nichts antun, das sagen sie«, murmelte er jetzt, obwohl die Toten kein Wort über Ela oder ihn verloren hatten. Sie wollten nur fort, die Lebenden schienen sie nicht zu kümmern.
»D ie Scholaren«, sagte Ela plötzlich. »D ie sind doch gelehrt, die verstehen sich bestimmt auch auf Gifte oder Kräuter.«
»E s ist nur fraglich, ob sie diese Kräuter auch haben. Ein Abbild auf einem Pergament nutzt mir nicht viel.«
»T rotzdem, was kann es schaden, sie zu fragen?«
»W ir haben sie über unsere Absichten und Ziele auf dieser Insel belogen– und auch darüber, wer wir sind.«
»I ch habe den Marghul getötet. Ist das nichts wert?«
Sahif lächelte schwach. »I ch weiß nicht, ob das nicht eher schadet. Nach allem, was ich von meinem… Gespräch mit ihm noch weiß, hatte er ein Übereinkommen mit ihnen. Sie waren doch ganz besessen von den Schätzen, die sie in seiner Bibliothek vermuteten. Er war für sie also gewissermaßen ein Verbündeter.«
»D as kann nicht sein, denn er hat ihre Leute getötet. Ich hab sie gesehen«, entgegnete Ela und berichtete kurz von den Schrecken in den Kellern der Knochenfestung von Du’umu, wo halb verweste Leichen wie abscheuliche Trophäen an die Wände gehängt worden waren. Leiw, der sie im Kampf auf der Brücke mit seinem Leben verteidigt hatte, er war dort gewesen– ein wandelnder Toter und ein Sklave des Marghul. Die Erinnerung versetzte ihr einen Stich.
»Z u den Westgarthern können wir jedenfalls nicht«, stellte sie müde fest.
»W as könnten wir von diesem ehrlosen Pack auch wollen?«, fragte Sahif bitter.
»N icht alle waren so falsch wie Prinz Askon«, erwiderte Ela, »a ußerdem haben sie Schiffe– und die Scholaren nicht.«
Sahif sah sie kurz an, dann nickte er. »V ermutlich hast du Recht. Doch weiter jetzt. Ich will diese verfluchte Ebene hinter mir lassen– und ich will diese verfluchte Betrügerin Jamade tot vor mir liegen sehen!«
»N icht nur du«, murmelte Ela und rieb sich die schmerzende Schulter, »n icht nur du.«
Sahif erhob sich ächzend. »D ann weiter jetzt, wenn du wieder kannst. Der Weg ist noch weit, und wir müssen vorsichtig sein. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Geister uns rechtzeitig vor den Gefahren warnen, die es hier gibt. Aber ich will dieses Weib erwischen, bevor es die Insel verlässt.«
***
Jamade hetzte über Lenns Pfad nach Norden. Sie wusste, dass er lange vor dem großen Krieg sorgsam angelegt worden war, doch inzwischen war er kaum mehr als ein Trampelpfad, von Dornenbüschen und Stachelgras überwuchert. Er führte die Steilküste entlang, hoch über dem Meer, und von Zeit zu Zeit waren Aussichtsposten angelegt, von denen man weit hinaus auf die See blicken konnte. Sie verschwendete jedoch keinen Blick auf das Goldene Meer, sondern suchte nach den Anzeichen für die Gefahr, vor der Meister Iwar sie gewarnt hatte. Sie konnte nicht unüberwindlich sein, sonst hätte auch der Alte Lenn den Pfad nicht benutzen können, aber sie hatte keine Ahnung, wo sie lauerte. Sie wünschte sich, ihr Lehrer hätte mehr darüber gesagt. Es war keine Falle der Bruderschaft, denn auch Iwar, Meister der Schatten, schien diese Gefahr zu fürchten. Aber was war es dann?
Der Pfad schlängelte sich zwischen weißen Kreidefelsen weiter nordwärts. Gelegentlich hatte jemand einen dürren Busch zwischen die Steine gesteckt, an anderer Stelle waren in Stein geschlagene Symbole mit roter Farbe nachgemalt worden, Zeichen dafür, dass der Alte Lenn hier gewesen war. Diese Orte hielt Jamade für sicher, was, so dachte sie, während sie weiter eilte, vielleicht ein Trugschluss war.
Der Pfad endete plötzlich an einem Abgrund. Nur ein handbreiter Sims führte unterhalb eines weit vorspringenden Felsens weiter. Spuren roter Farbe verrieten Jamade, dass der Alte Lenn diesen Weg benutzt haben musste. Sie zögerte, denn das Gestein war rissig und der Sims an einigen Stellen
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