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Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Titel: Der Prinz in meinem Maerchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon
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»Ausschlafen?«
    Anna hatte sich noch nie so erschöpft gefühlt. Die ersten Monate nach Sarahs Abreise hatten sich als ein endloser Wirbelwind erwiesen: Sie hatten neue Schulen gesucht und ein neues Auto gekauft, in das drei weitere Personen hineinpassten. Sie hatten neue Klamotten besorgt, eine neue Routine für den Tagesablauf finden und neue Gerichte für drei pingelige Esser ausprobieren müssen. In ihrem gemeinsamen Schockzustand hatten sie sich irgendwie zusammengerauft, hauptsächlich aber, weil Anna sich doppelt krumm gemacht hatte, um den Schock für alle abzumildern. Erst jetzt, nachdem der Glanz des Neuen verblichen war, begannen sich allmählich die echten Probleme abzuzeichnen. Probleme, die man eigentlich gar nicht zugeben durfte, wie zum Beispiel das Gefühl, innerhalb der Familie erst an sechster Stelle zu stehen, weit nach dem Hund.
    Michelle schob das Notizbuch näher an Anna heran. »Komm schon. Tu es jetzt. Es herrschen Klausurbedingungen: Du hast zwanzig Minuten Zeit, um all das aufzuschreiben, was du im neuen Jahr schaffen willst. Nur du. Komm schon, ich mache auch mit.«
    »Du weißt doch schon längst, was du willst«, protestierte Anna. »Wahrscheinlich hast du die Liste längst im Kopf.«
    Michelle reichte ihr einen Kuli. »Soll ich vielleicht die Liste für dich schreiben? Du könntest zum Beispiel so anfangen: ›Meinem Ehemann einen Tritt in den Allerwertesten verpassen‹.«
    »Nein.« Anna starrte auf die gähnend leere Seite vor ihr. So viel Papier brauchte sie gar nicht; für das neue Jahr hatte sie nur ein Ziel, eines, auf das sie ihr ganzes Leben als Erwachsene gewartet hatte. Allein der Gedanke daran erfüllte sie schon mit einer flatternden Aufregung, doch es war ein äußerst heikles Ziel. Eigentlich wollte sie nicht, dass es seinen Zauber dadurch verlor, dass sie es nun niederschrieb, gleich neben Vorhaben wie »Tiefkühlschrank abtauen« oder »Chloe dazu bringen, einen Zeitplan für die Wiederholung des Lernstoffs zu erstellen«.
    Sie sah zu Michelle hinüber, die fleißig schrieb und sich dabei Überschriften und Unterpunkte notierte und alles mit Pfeilen verband. Obwohl niemand hier war, der sie sah, hatte sie doch ihr volles Make-up aufgelegt, sogar ihren geschwungenen schwarzen Eyeliner. Vielleicht sollte ich mir das als Ziel setzen, den Eyeliner so wie sie auftragen zu können, dachte Anna und bewunderte die leicht nach oben geschwungenen Pinselstriche an den Rändern von Michelles braunen Kulleraugen. Die waren so exakt und perfekt wie die von Lilys Bratz-Puppe.
    »Mach mal«, ermunterte Michelle sie, ohne dabei aufzuschauen. »Schreib es auf, dann passiert es auch – das ist mein Motto.«
    Ganz langsam notierte Anna »Dieses Jahr« oben auf die Seite, unterstrich es zweimal und fügte dann darunter hinzu: »Ein Baby bekommen«.
    Michelle sah auf, als sie bereits am Ende ihrer zweiten Seite angelangt war. »Bist du schon fertig? So schnell?«
    Anna nickte.
    »Lass mich mal sehen.«
    Anna schob Michelle das Notizbuch hin und beobachtete sie. Sie war unsicher, wie ihre Freundin reagieren würde.
    Anna wusste nur allzu gut, dass Babys auf Michelles To-do-Liste keinen Platz hatten. Longhampton hatte die höchste Geburtenrate in den Midlands zu verzeichnen, und vor dem Einzug von Phils Töchtern hatten Anna und Michelle stundenlang in der örtlichen Vinothek gesessen und sich über die Mütter das Maul zerrissen, die in Michelles Laden ein Vermögen ausgaben und einem mit Sprüchen kamen wie »Man versteht das Leben im Grunde erst, wenn man selbst ein Kind hat«. Und sie hatten einander selbst hunderterlei Gründe aufgezählt, warum die Geburt eines Kindes einen nicht unmittelbar wertvoller, verständnisvoller oder weiser machte. Das hatte sie zusammengeschweißt.
    Michelle war von den Vermutungen der Leute, warum sie keine Kinder hatte, ziemlich genervt: Die Geschäftsmänner im Dorf unterstellten ihr, dass sie zu sehr auf ihre Karriere fixiert sei; die Geschäftsfrauen dachten, sie mache es sich sehr leicht. Annas Murren, was Kinder anging, war dagegen eher vorgeschoben. Mutter-und-doch-noch-nicht-Mutter zu sein war das Schlimmste, was es gab, zumal sie sich doch so sehr nach einem eigenen Baby sehnte, nun aber das Gefühl hatte, für Phils »Gratis-Kinder« besonders dankbar sein zu müssen.
    »Wow«, entfuhr es Michelle. »Das ist dein Jahresziel? Ich meine, das ist toll, aber … sonst nichts? Nicht etwa ›einen neuen Job finden‹? Oder das Haus renovieren?«
    Anna

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