Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
seiner Position als Jurist zu kämpfen. »Keine Ahnung. Es könnte ihn sehr aufwühlen und mitnehmen, wenn die Heimleitung es ablehnt. Außerdem erkundigt er sich immer bei mir, ob Tarvish schon wieder an jemanden vermittelt wurde – wenn Tarvish also ausbüxt, würde sich Mr. Quentin sicherlich nur noch weitere Sorgen machen.«
»Da haben Sie recht«, nickte Anna. »Also sage ich besser erst mal gar nichts.«
»Jetzt wird aber nicht mehr ausgebüxt, Tarvish!«, rief Rory und stand dann auf. »Na gut, dann will ich mal an die Anwaltsfront zurückkehren. Tschüss, Anna.«
Rory lächelte, doch Anna fand insgeheim, dass sein sarkastischer Blick das gewohnte Funkeln verloren hatte. Er war zwar nicht so traurig wie Tarvish, aber beinahe.
Tarvish blieb so ruhig und still unter der Kasse liegen, dass Anna beinahe schon vergessen hätte, dass er da war. Bislang waren nur wenige Kunden vorbeigekommen – eine Dame, die eine Bestellung abholen kam, sowie jemand, der sich eigentlich nur umsehen wollte und kein besonderes Buch im Blick hatte, dann aber mit einer ganzen Reihe Sherlock-Holmes -Romanen nach Hause ging.
Jedes Mal, wenn die Türglocke ertönte, spitzte Tarvish die Ohren, schlief danach aber schnell wieder ein, nachdem er es sich auf Annas Fuß wie auf einem bequemen Kissen gemütlich gemacht hatte.
Er verlieh dem Laden den letzten Schliff, fand Anna, als sie durch ihre Ausgabe vom Dschungelbuch blätterte, die sie neben der Kasse aufbewahrte. Sie biss von ihrem Sandwich ab, während Tarvish im Schlaf Kaninchen jagte. Ein Ladenhund. Michelle würde sich zwar schrecklich über all die Hundehaare aufregen, aber er verlieh dem Geschäft einen recht schrulligen Charme, ebenso wie die Girlanden, die über der Romanabteilung hingen. Nur, dass Tarvish schon lange vor den Girlanden hier gewesen war.
Anna warf einen Blick unter den Tisch und beobachtete, wie er schlief. Die grauen Haare rund um die Augen und die Schnauze wirkten wie eine Brille und ließen ihn wie einen griesgrämigen schottischen Professor aussehen.
Als Kelsey schließlich kam, um während Annas Mittagspause einzuspringen, war immer noch niemand vom Tierheim da gewesen. Anna ging kurz die Anweisungen durch, während Kelsey und Tarvish einander argwöhnisch musterten. Kelsey besaß nach eigener Aussage »kein Händchen für Tiere«.
»Er wird aber keine Bücher anknabbern oder so, nicht wahr?«, fragte Kelsey vorsichtig. »Oder Kunden anfallen, die hereinkommen? «
»Was meinst du wohl?«, fragte Anna und schlang sich ihre Tasche über die Schulter. »Er arbeitet hier schon länger als wir alle zusammen. Ruf mich an, falls Michelle irgendwelche Probleme hat, und vergiss nicht, ihn zwischendurch mal rauszulassen, damit er sein Geschäft erledigen kann!«
Mr. Quentin hatte sich schon in seinem Sessel niedergelassen, als Anna zusammen mit Joyce und zwei ihrer Pflegekräfte den großen Aufenthaltsraum betrat. Anna lächelte ihn an, doch er erwiderte ihr Lächeln nicht sogleich. Mittlerweile hatte sich eine kurze Verzögerung in seiner Reaktionszeit eingeschlichen, als müsse er zuvor immer erst darüber nachdenken. Der scharfe Verstand des Buchhändlers, der einst über ganze Bibliotheken von Romanen und Nachschlagewerken verfügt und alles über den Longhampton Cricket Club gewusst hatte – all das Wissen, das früher einmal ordentlich aufgereiht gewesen war und diverse Querverbindungen besessen hatte, war nun durcheinandergeraten. Die Fakten waren zwar noch vorhanden, allerdings wie lose Blätter, die ohne jede Ordnung umherwehten – wie der hintere Verkaufsraum des Buchladens, bevor Anna und Michelle ihn aufgeräumt hatten.
Er selbst war immer sehr gepflegt gewesen und hatte stets ein rotes Tuch in der Brusttasche seiner Jacke stecken gehabt. Wenn er mit seiner Frau und den Hunden spazieren gegangen war, hatte er immer einen Homburger Hut getragen. Anna stellte fest, dass sie den Anblick bis gerade schon völlig vergessen hatte: Mr. und Mrs. Quentin, die wie ein Komiker-Duo ihre beiden frisch geschorenen Hunde Gassi führten. Sie wirkten wie Gespenster aus einer anderen Zeit, die in eine weniger stilvolle Longhamptoner Straße hineinversetzt worden waren.
Anna schnürte es die Kehle zu, als ihr Blick auf den verknitterten Kragen von Mr. Quentins Hemd unter dem schmuddeligen Pullover fiel, doch Joyce schob sie unbarmherzig weiter vorwärts, während sie forsch allen den Befehl gab, »die Hörgeräte aufzudrehen und aufmerksam zuzuhören.«
»Wie
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