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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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berichten, war seine Qual stets kleiner geworden und letztlich ganz verschwunden. Wie das hatte passieren können, war ihm schleierhaft. Die Bedrohung blieb, denn Kellhus war, wie Achamian sich von Zeit zu Zeit vor Augen führte, der Vorbote der Apokalypse. Bald würde die Sonne hinter dem Nicht-Gott aufgehen und seinen furchtbaren Schatten über das Gebiet der Drei Meere werfen. Bald würde die Zweite Apokalypse die Welt erschüttern. Doch bei diesem Gedanken gesellte sich zu seiner Angst eine seltsame Hochstimmung, die der Euphorie eines Betrunkenen glich. Eigentlich hatte Achamian Geschichten über Männer, die in der Schlacht aus dem Glied getreten waren, um den Feind zu attackieren, stets mit Skepsis vernommen. Nun aber glaubte er zu verstehen, was diese Männer so leichtsinnig werden ließ. Wenn sie außer Rand und Band gerieten, hatten die Konsequenzen ihres Handelns für sie keine Bedeutung mehr. Und wenn die Verzweiflung unerträglich geworden war, mündete sie in einen Rausch.
    Er war der Narr, der sich allein in die Speere von Tausenden stürzte. Und zwar für Kellhus.
    Achamian unterrichtete ihn noch immer auf ihren Tagesmärschen, wobei Esmenet und Serwë sie nun begleiteten und manchmal miteinander sprachen, meist aber einfach nur zuhörten. Ringsum marschierten tausende Männer des Stoßzahns, stöhnten unter ihrem Gepäck und schwitzten in der grellen Sonne. So unglaublich es schien: Kellhus hatte sich alles angeeignet, was Achamian über das Gebiet der Drei Meere wusste. Also sprachen sie fortan über den Alten Norden, über Seswatha und seine bronzene Welt, über die Sranc und die Nichtmenschen. Von Zeit zu Zeit wurde Achamian klar, dass er Kellhus bald nichts mehr beibringen konnte – bis auf die Gnosis.
    Und die durfte er ihn natürlich nicht lehren. Aber er konnte der Überlegung kaum widerstehen, was Kellhus mit seinem göttlichen Intellekt daraus machen würde. Zum Glück war die Gnosis etwas, das sich dem Verständnis des Prinzen entzog.
    Je nach der Beschaffenheit des Geländes und der Verfügbarkeit von Wasser endeten die Tagesmärsche zwischen Spätnachmittag und einsetzender Dämmerung. Gedea war eine trockene Gegend, vor allem das Hochland von Atsushan. Nach dem so schnellen wie routinierten Aufstellen ihrer Zelte versammelten sie sich am Lagerfeuer des Xinemus, wo Achamian allerdings oft mit Esmenet, Serwë und den Sklaven des Marschalls vorliebnehmen musste, da Xinemus, Cnaiür und Kellhus immer öfter bei Proyas zu Abend aßen, der unter der schroffen Führung des Scylvendi immer mehr zu einem von Strategie und Planung Besessenen geworden war. Aber für gewöhnlich trafen sie sich alle für ein, zwei Stunden am Feuer, ehe sie sich auf ihre Strohsäcke und Matten zurückzogen.
    Und wie überall sonst glänzte Kellhus auch dort.
    Bald nach dem Abmarsch von Hinnereth saßen sie eines Abends alle beschaulich zusammen und verspeisten ein Mahl aus Reis und Lamm, das Cnaiür tags zuvor organisiert hatte. Esmenet stellte fest, es sei ein wahrer Luxus, mal wieder dampfendes Fleisch zu essen, und fragte dann, wo sich der edle Spender aufhalte.
    »Bei Proyas«, sagte Xinemus. »Sie reden über Kriegsführung.«
    »Was gibt es denn da so lange zu besprechen?«
    Obwohl noch im Schlucken begriffen, hob Kellhus die Hand. »Ich hab sie gehört«, sagte er mit vor Ironie glänzenden Augen. »Ihr Gespräch ging etwa so…«
    Esmenet lachte bereits, während die Übrigen sich neugierig vorbeugten. Außer seinem boshaften Witz besaß Kellhus ein unheimliches Talent, Stimmen nachzumachen. Serwë gluckste geradezu vor Aufregung.
    Kellhus setzte ein herrisches und kriegerisches Gesicht auf, spuckte vor seine Füße und sagte dann mit einer Stimme, die der von Cnaiür so ähnlich war, dass man Gänsehaut bekam: »Die Scylvendi reiten nicht wie Memmen. Sie legen einen Hoden auf die linke, einen auf die rechte Seite des Sattels, und ihre Eier sind so schwer, dass sie nicht auf und ab hüpfen.«
    »Verschone mich mit deinen Unverschämtheiten, Scylvendi«, ließ Kellhus dann Proyas antworten.
    Xinemus prustete einen großen Schluck Wein ins Feuer.
    »Das sagst du nur, weil du nichts vom Krieg verstehst«, fuhr Kellhus mit Cnaiürs Stimme fort. »Im Krieg tritt die Welt den Mann dorthin, wo es ihn am meisten schmerzt.«
    »Verschone mich mit deinen Schmähreden, Scylvendi.«
    Kellhus spuckte ins Feuer. »Du glaubst, dein Vorgehen ähnelt dem der Scylvendi, aber da liegst du falsch. Für uns seid ihr dumme

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