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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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umkrempeln und jedes Ärgernis vernichten müssen.«
    Der Hass in seiner Stimme ließ Achamian zusammenschrecken. Er drehte sich um und wollte ihn spöttisch angrinsen oder beschimpfen, sah ihn dann aber nur sprachlos an. Irgendwie konnte der Mann seinen Blick nicht erwidern, sondern schaute stattdessen finster aufs Feuer. Achamian ließ den Blick über die schattenhaften Gesichter ringsum schweifen. Die meisten hatten sich zu der gereizt geführten Unterhaltung umgedreht, sahen nun aber schon wieder zu Kellhus hinüber. Und irgendwie wusste der Ordensmann einfach, dass diese Leute nicht weichen würden.
    Ich bin nicht anders als sie, dachte er und fühlte den verblüffenden Schmerz der Einsicht in Dinge, die man längst weiß. Ich sitze nur näher am Feuer.
    Ihre Gründe waren seine Gründe. Das wusste er.
    Ihre zahlreichen Motive waren nur unscharf umrissen: Kummer, Versuchung, Reue, Verwirrung. Sie beobachteten aus Langeweile, heimlicher Hoffnung und Furcht, aus Faszination und Vergnügen. Vor allem aber sahen sie aus Notwendigkeit zu.
    Weil sie wussten, dass etwas geschehen würde.
    Plötzlich knackte das Feuer und ließ eine Kaskade von Funken aufsteigen, von denen einer Richtung Kellhus segelte. Lächelnd sah er Serwë an, fing den orangefarbenen Lichtpunkt zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte ihn aus.
    Einige atmeten in der Dunkelheit vernehmlich ein.
    Langsam versammelten sich immer mehr Menschen. Die Lage war doppelt ungemütlich, weil Xinemus’ Feuer sich zu einer seltsamen Bühne entwickelt hatte – zu einer Insel des Lichts inmitten schattenhafter Zuschauer –, Kellhus hingegen überaus schlecht gelaunt war. Der Prinz von Atrithau hatte jeden, der ans Feuer des Marschalls kam, gemäß seinen Hoffnungen und Ängsten beeinflusst. Den Mann aber, der ihr Weltverhältnis grundlegend verändert hatte, nun wütend zu sehen, war so beunruhigend, als würde ein innig geliebter Mensch plötzlich alle Erwartungen enttäuschen.
    Aus Gründen, die wohl in seiner eigenen Vergrübeltheit zu suchen waren, platzte Xinemus eines Abends schließlich der Kragen: »Verdammt, Kellhus – warum redest du nicht mal mit ihnen?«
    Diesem Ausbruch folgte verblüfftes Schweigen. Esmenet packte Achamian fest bei der Hand. Nur der Scylvendi aß ungerührt weiter und schaufelte sich Haferschleim in den Mund. Der Hexenmeister war davon abgestoßen wie von etwas ausgesprochen Anstößigem oder grob Animalischem. Wie widerlich tief war dieser Mann in seine Begierde versunken!
    »Weil sie mehr aus mir machen als ich bin«, sagte Kellhus mit fester Stimme und blickte dabei ins Feuer.
    Tun sie das wirklich?, überlegte Achamian. Er wusste, dass die anderen sich die gleiche Frage stellten, auch wenn sie nur selten über Kellhus sprachen. Stets überkam sie eine merkwürdige Scheu, wenn das Thema Kellhus aufkam, als hegten sie zu absurde oder zu verletzende Verdächtigungen, als dass sie sie enthüllen könnten. Achamian konnte eigentlich nur mit Esmenet über ihn sprechen, und selbst dann…
    »Gut«, schnauzte Xinemus, dem es besser als jedem von ihnen gelang, so zu tun, als sei Kellhus nichts Besonderes. »Dann geh hin und sag ihnen das.«
    Kellhus starrte den Marschall an und nickte schließlich. Wortlos stand er auf und schritt in die Dunkelheit.
    Damit begann, was Achamian bald Imprompta nannte, nächtliche Gespräche also, die Kellhus mit den Männern des Stoßzahns führte und die mitunter den Charakter von Predigten annahmen. Oft gesellte der Hexenmeister sich mit Esmenet zu ihm und sah von nahem, wie er Fragen beantwortete und unzählige Dinge diskutierte. Kellhus sagte den beiden, ihre Anwesenheit mache ihm Mut und erinnere ihn daran, dass er nicht besser sei als die, zu denen er spreche. Er gestand, immer eingebildeter zu werden, was ihn deshalb so erschrecke, weil es ihm jetzt immer weniger ausmache.
    »Oft erkenne ich meine Stimme nicht mehr«, sagte er.
    Achamian konnte sich nicht erinnern, Esmenets Hand je so fest ergriffen zu haben wie bei diesem Geständnis.
    Die Zuhörerzahl stieg zwar nicht so schnell, dass Achamian von einer Nacht zur anderen einen Unterschied hätte feststellen können, aber doch schnell genug, dass aus ein paar dutzend Besuchern hunderte geworden waren, als sich der Heilige Krieg Shigek näherte. Eine Hand voll besonders ergebener Zuhörer hatte eine kleine Holztribüne gezimmert und darauf eine Matte und zwei Kohlenbecken drapiert. Dort saß Kellhus mit gekreuzten Beinen gelassen und reglos

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