Der Prinz von Atrithau
sie selbst freilich schliefen sie nicht mit einem Gott. Einem Gott zudem, der sich ihr in vielfältiger Gestalt näherte.
Ihren Reisegefährten hatte – anders als ihr selbst – niemand Vergebung und Unterordnung beigebracht, obwohl sie diese Tugenden allmählich lernten. Oft bekam sie flüchtig mit, wie er mal den einen, mal die andere wie nebenher unterrichtete. Und es war seltsam, einen Gott unterrichten zu sehen.
Sogar jetzt erteilte er ihnen Unterricht.
»Nein«, behauptete Achamian gerade, »wir Hexenmeister zeichnen uns durch Fähigkeiten aus, ihr Adligen durch Geblüt. Was tut es zur Sache, ob andere uns erkennen? Wir sind, was wir sind.«
Mit lächelnden Augen fragte Kellhus: »Bist du dir da sicher?«
Serwë hatte das oft erlebt: Seine Worte waren einfach, doch wie er sie sagte, traf seine Zuhörer im Innersten.
»Wie meinst du das?«, fragte Achamian verständnislos.
Kellhus zuckte die Achseln. »Was wäre, wenn ich dir sagte, ich sei wie du?«
Xinemus blitzte Achamian an, der nervös auflachte.
»Wie ich?«, fragte der Ordensmann und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Inwiefern?«
»Ich sehe dein Mal, Akka – das Zeichen deiner Verdammung.«
»Du machst Witze«, stieß Achamian hervor, doch seine Stimme klang seltsam.
Kellhus hatte sich an Xinemus gewandt. »Seht Ihr? Eben noch war ich genau wie Ihr. Zwischen uns bestand kein Unterschied, bis…«
»Den gibt es noch immer nicht«, platzte Achamian heraus und rief energisch: »Es sei denn, du beweist mir das Gegenteil!«
Kellhus musterte den Hexenmeister so vorsichtig wie besorgt. »Wie beweist man, was man sieht?«
Xinemus schien gar nicht beunruhigt, sondern lachte in sich hinein. »Was ist, Akka? Viele sehen deine Gotteslästerungen, verlieren darüber aber lieber kein Wort. Denk an das Kollegium der Luthymae…«
Doch Achamian war mit verblüffter, ja panischer Miene aufgesprungen. »Es ist nur so, dass… dass…«
Er weiß Bescheid, Geliebter! Achamian weiß, dass du ein Gott bist!, dachte Serwë begeistert.
Sie errötete bei dem Gedanken, mit dem Hexenmeister geschlafen zu haben, machte sich dann aber klar, dass sie da ja gar nicht mit Achamian, sondern in Wirklichkeit mit Kellhus zusammen gewesen war…
»Du musst mich erkennen, Serwë – in all meinen Gestalten«, hatte er damals zu ihr gesagt.
»Es gibt eine Möglichkeit, es zu beweisen!«, rief Achamian, warf ihnen einen geradezu lächerlich eindringlichen Blick zu und hetzte dann abrupt in die Dunkelheit davon.
Xinemus hatte begonnen, halblaut einen Witz zu erzählen. Esmenet setzte sich derweil lächelnd, aber mit gerunzelter Stirn neben Serwë.
»Kellhus hat ihn offenbar wieder zur Raserei getrieben«, sagte sie und hielt dem Mädchen eine dampfende Schale aromatisierten Tee hin.
»Offenbar«, meinte Serwë, nahm die angebotene Schale, kippte einen winzigen Schluck als Trankopfer auf den Boden und führte sie dann zum Mund. Der Tee war warm und breitete sich in ihrem Magen aus wie sonnengewärmte Seide. »Mmmh… Danke, Esmi.«
Esmenet nickte und drehte sich zu Kellhus und Xinemus. Am Abend zuvor hatte Serwë ihr die Haare so kurz geschnitten, dass sie jetzt wie ein wunderschöner Junge aussah. Fast so schön wie ich, dachte Serwë.
Sie hatte nie eine Frau wie sie gekannt, eine kühne Frau also, deren Mundwerk so boshaft war wie das der Männer. Esmenets Fähigkeit, es mit ihnen Wort für Wort, Witz für Witz aufnehmen zu können, machte Serwë manchmal Angst. Nur Kellhus war ihr da überlegen. Aber sie war stets rücksichtsvoll gewesen. Serwë hatte sie mal gefragt, warum sie so freundlich sei, und Esmenet hatte geantwortet, der einzige Friede, den sie als Hure gefunden habe, bestehe darin, sich um die zu kümmern, die verletzlicher seien als sie. Als Serwë einwandte, sie sei keine Hure und auch nicht verletzlich, lächelte Esmenet nur traurig und sagte: »Wir sind alle Huren, Serchaa.«
Und Serwë hatte ihr geglaubt. Wie hätte es anders sein können? Schließlich hatte es geklungen, als hätte auch Kellhus das sagen können.
Esmenet drehte sich zu ihr um. »War der Marsch heute schwer für dich, Serchaa?« Sie lächelte, wie Serwës Tante einst gelächelt hatte: herzlich und besorgt. Doch dann verdüsterte sich ihre Miene plötzlich, als hätte sie etwas Unangenehmes in ihrem Gesicht entdeckt, und ihre Augen wurden wachsam.
»Esmi?«, fragte Serwë. »Stimmt was nicht?«
Esmenet blickte gedankenverloren ins Weite. Als sie wieder in die Gegenwart
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