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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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    Aller Augen ruhten prüfend auf der Puppe, die im Schein des Lagerfeuers schlaff am Felsen lehnte. Serwë hielt den Atem an. Sie hatte erwartet, die Glieder würden vielleicht zucken und die Puppe würde schleppend zu trunkenem Leben erwachen – wie bei einer Marionette, die an unsichtbaren Fäden hing. Das aber geschah nicht. Das Erste, was sich bewegte, war vielmehr der fleckige Seidenkopf, doch er sank nicht träge auf die Seite oder nickte etwa langsam. Stattdessen trat etwas aus seinem Innern hervor. Serwë schnappte entsetzt nach Luft, als sie merkte, dass ein winziges Gesicht – Nase, Lippen, Brauen und Augenhöhlen – von innen gegen den Stoff drückte.
    Ein Drogennebel schien sich über sie gelegt zu haben – die Erstarrung, die einen befällt, wenn man Zeuge von etwas Unmöglichem wird. Serwës Herz hämmerte. Ihre Gedanken rasten wie in einem Laufrad.
    Aber sie konnte nicht wegschauen. Ein menschliches Gesicht – kleiner als eine Handfläche – drückte gegen die Seide, und winzige Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Heulen.
    Und dann bewegten sich die Glieder rasch und unvermittelt. Das hatte nichts mit dem schwankenden Taumeln einer Marionette gemein. Was immer diese Glieder auch bewegte, tat dies von innen und mit der gespannten Eleganz eines Körpers, der sich seiner Gliedmaßen sicher war. Mit leiser Panik begriff Serwë, dass es sich hier um eine Seele handelte, die sich von selbst bewegte… Mit einer einzigen, fließenden Bewegung beugte die Puppe sich vor, stützte die Arme auf den Boden und winkelte die Knie an. Dann stand sie auf und warf einen schmalen Schatten über die Erde: den Schatten eines Mannes, dem ein Sack um den Kopf gebunden war.
    »Bei allem, was heilig ist«, keuchte Dinchases atemlos.
    Der hölzerne Mann drehte das augenlose Gesicht von einer Seite zur anderen und musterte die sprachlosen Riesen.
    Dann hob er die kleine, verrostete Klinge, die er statt der rechten Hand besaß. Das Feuer knallte, und eine Funkenkaskade wirbelte empor. Ein rauchendes Kohlenstück sprang dem Holzmann direkt vor die Füße. Er sah hinunter, kniete nieder und schlug die Kohle mit der Klinge zurück ins Feuer.
    Achamian murmelte etwas Unverständliches, und die Puppe fiel mit grotesk abgespreizten Gliedern in sich zusammen. Dann sah er Kellhus groß an und sagte mit einer Stimme, die so fahl wie sein Gesicht war: »Also gehörst du zu den Wenigen.«
    Er ist zu Tode erschrocken, dachte Serwë. Aber warum? Begreift er es denn nicht?
    Unvermittelt sprang Xinemus auf. Ehe Achamian ihn nur ansehen konnte, hatte der Marschall ihn schon beim Arm gepackt und riss ihn gewaltsam herum.
    »Warum tust du das?«, schrie Xinemus, und in seinem Gesicht standen Schmerz und Wut zugleich. »Du weißt, dass es ohnehin schwer genug für mich ist. Das weißt du doch! Und dann kommst du mit Vorführungen wie dieser? Mit Gotteslästerung?«
    Fassungslos sah Achamian seinen Freund an. »Aber Xin«, rief er entgeistert, »ich bin nun mal ein Hexenmeister!«
    »Vielleicht hatte Proyas Recht«, stieß der Marschall hervor. Knurrend drückte er Achamian beiseite und schritt hinaus in die Dunkelheit. Esmenet sprang von ihrem Platz neben Serwë auf und ergriff Achamians schlaffe Rechte, doch der Hexenmeister starrte nur in die Finsternis hinaus, die Xinemus verschluckt hatte. Serwë hörte Esmenet nachdrücklich flüstern: »Keine Sorge, Akka! Kellhus wird mit ihm reden und ihm seine Torheit aufzeigen…« Doch der Hexenmeister starrte nur weiter ins Dunkle und stieß sie kraftlos von sich weg.
    Weiterhin verblüfft und mit vor Angst noch prickelnder Haut sah Serwë Kellhus flehend an: Bitte! Du musst das wieder in Ordnung bringen! Xinemus muss Achamian das nachsehen.
    Serwë wusste nicht, wann sie begonnen hatte, sich mimisch mit Kellhus zu verständigen, tat es inzwischen aber so oft, dass ihr kaum mehr klar war, was sie ihm erzählt, was gezeigt hatte. Auch das gehörte zu dem unermesslichen Frieden zwischen ihnen. Nichts war verborgen.
    Und irgendwie erinnerte sein Blick sie an etwas, das er mal gesagt hatte: »Ich muss mich ihnen langsam zu erkennen geben, Serwë, langsam. Sonst wenden sie sich gegen mich.«
     
     
    Tief in der Nacht wurde Serwë von Stimmen wach – von wütenden Stimmen direkt vor ihrem Zelt. Unwillkürlich griff sie sich an den Bauch. Ihre Eingeweide krampften sich vor Schreck zusammen. Gütige Götter, dachte sie – Gnade!
    Der Scylvendi war zurückgekehrt.
    Das war ihr ja

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