Der Prinz von Atrithau
Achamian die Mandati. Ausflüchte dafür gab es genug: Er konnte sich darauf berufen, es sei unmöglich, in einem Heerlager voller bewaffneter Fanatiker diskrete Untersuchungen durchzuführen, Informanten zu bestechen oder heuchlerische Vorschläge vorzubringen, und er konnte sich vor Augen führen, was die Mandati Inrau angetan hatten – doch letztlich zählten all diese Einwände gar nichts.
Er würde die feindlichen Linien stürmen und seine Ketzerei zu Ende bringen – bis zum bitteren Ende. Erstmals in seinem langen, unsteten Leben hatte Drusas Achamian Glück gefunden.
Und der Frieden hatte Einzug gehalten.
Der Tagesmarsch war diesmal besonders anstrengend gewesen. Serwë saß am Feuer, rieb sich die Zehen und beobachtete ihren Liebsten Kellhus, der auf der anderen Seite der Flammen saß. Wenn es doch immer so sein könnte wie jetzt!
Vier Tage zuvor hatte Proyas den Scylvendi mit mehreren hundert Rittern nach Süden ausgesandt – um Marschrouten nach Shigek auszukundschaften, wie Kellhus gesagt hatte. Das waren vier Tage, ohne dass sie hatte fürchten müssen, zufällig auf seinen ausgehungerten Blick zu stoßen. Vier Tage, in denen sie sich nicht ängstlich in seinen unbarmherzigen Schatten hatte ducken müssen, wenn er sie mit harter Hand in seinen Pavillon zerrte. Vier Tage ohne seine bedrohliche Wildheit.
Und an jedem dieser Tage hatte sie immer wieder gebetet, er möge den Tod finden.
Aber das war das einzige Gebet, das Kellhus nicht erhörte.
Sie beobachtete den Dûnyain so verliebt wie gedankenverloren. Sein langes blondes Haar leuchtete im Schein des Feuers golden, und seine bärtigen Züge strahlten gute Laune und Verständnis aus. Er nickte, als Achamian ihm etwas darlegte. Vielleicht ging es ja um Hexerei. Sie achtete kaum auf die Worte des Ordensmanns, denn sie war viel zu sehr auf Kellhus’ Gesicht konzentriert.
Noch nie hatte sie etwas so Schönes gesehen. Seine Erscheinung hatte etwas Unerklärliches, Gottgleiches und Surreales, als sei in seinen Zügen eine atemberaubende Eleganz, eine ungreifbare Anmut verborgen, die jederzeit aufblitzen und sie wie eine Offenbarung blenden konnte. Sein Antlitz machte jeden Augenblick, jeden Herzschlag… zu einem Geschenk.
Sie legte die Hand auf die sanfte Wölbung ihres Bauchs und glaubte kurz, das zweite Herz in ihrem Innern zu spüren, das nicht größer als das eines Spatzen war.
Es ist sein Kind, seines, dachte sie.
Wie viel sich verändert hatte! Sie war klug – viel klüger als ein Mädchen von zwanzig Jahren sein sollte. Das war ihr bewusst. Die Welt hatte ihr gezeigt, wie ohnmächtig ihre Empörung war, und sie dadurch zur Einsicht gebracht. Erst hatte sie die Söhne des Hauses Gaunum mit ihren grausamen Gelüsten über sich ergehen lassen müssen, dann Panteruth und seine unaussprechlichen Gräuel, dann Cnaiürs fanatische Besessenheit. Was konnte die Empörung einer zarthäutigen Konkubine einem Mann wie ihm sagen? Doch nur, dass es da eine weitere Kreatur zu brechen galt. Sie wusste inzwischen, dass sie alles tun und jedes Begehren befriedigen würde, wenn es ums Überleben ging. Sie war erleuchtet worden.
Unterwerfung – die Wahrheit lag in der Unterwerfung.
»Du hast dich ergeben, Serwë«, hatte Kellhus ihr gesagt. »Und indem du dich ergeben hast, hast du mich erobert!«
Die Tage der Leere waren vorbei. Die Welt, hatte Kellhus gesagt, habe sie auf ihn vorbereitet. Sie, Serwë von Keyalti, sollte seine heilige Gemahlin sein.
Sie würde die Söhne des Kriegerpropheten austragen.
Welche Demütigung, welches Leid konnte da noch ins Gewicht fallen? Natürlich weinte sie, wenn der Scylvendi sie schlug, und biss vor Wut und würgender Scham die Zähne zusammen, wenn er sich über sie hermachte. Aber sie tat es wissend, und Kellhus hatte sie gelehrt, dass Wissen über allem stand. Cnaiür war ein Totem der alten, dunklen Welt, ein Fleisch gewordenes Skandalon der Vorzeit. Für jeden Gott nämlich gebe es einen Dämon, hatte Kellhus ihr gesagt.
Für jeden Gott!
Die Priester ihres Vaters wie die der Gaunum hatten behauptet, die Götter bewegten die Seelen der Menschen. Serwë aber wusste, dass die Götter sich auch in Menschengestalt auf Erden bewegten. Wenn sie Esmenet, Achamian, Xinemus und die anderen am Feuer beobachtete, war sie oft erstaunt, dass sie das nicht wahrzunehmen vermochten, argwöhnte manchmal allerdings, sie wüssten es tief im Innern ihres Herzens sehr wohl und würden sich nur stur stellen.
Anders als
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