Der Prinz von Atrithau
zurückkehrte, lächelte sie erneut – trauriger zwar, aber so ungekünstelt wie zuvor.
Serwë sah nervös auf ihre Hände und hatte plötzlich furchtbare Angst, Esmenet würde irgendwie Bescheid wissen. Im Geiste sah sie, wie der Scylvendi sich im Dunkeln auf ihr abrackerte.
Dabei war er es gar nicht!, dachte sie triumphierend.
»Die Hügel«, sagte sie rasch. »Sie sind so beschwerlich… Kellhus hat gesagt, er besorgt mir ein Maultier.«
Esmenet nickte. »Pass auf, dass…«, begann sie, hielt inne und blickte stirnrunzelnd in die Finsternis. »Was hat er denn jetzt vor?«
Achamian war wieder aufgetaucht und hatte eine Gliederpuppe dabei, die etwa so groß wie sein Unterarm war. Er setzte sie so auf den Boden, dass ihr Rücken an dem knochenförmigen Felsen lehnte, auf dem er vorhin noch gesessen hatte. Bis auf den Kopf war sie aus dunklem Holz geschnitzt, und ein kleines rostiges Messer diente ihr als rechte Hand. Ihr ganzer Körper war mit winzigen Textzeilen graviert, während ihr Kopf aus einem konturlosen Seidensack bestand und nicht größer war als der Geldbeutel eines Armen. Als Serwë die Puppe musterte, erschien sie ihr plötzlich bedrohlich. Das Lagerfeuer brachte ihre polierten Oberflächen zum Schimmern und vermittelte die Illusion, die Wörter seien zentimetertief eingeritzt. Der kleine Schatten, der die Puppe umgab, wirkte vor dem Felsen pechschwarz und flackerte unheimlich im Feuerschein. Die Puppe sah aus wie ein kleiner Toter, den man vor ein loderndes Feuer gesetzt hatte.
»Macht Achamian dir Angst, Serchaa?« fragte Esmenet. Etwas Freches und Boshaftes glitzerte in ihren Augen.
Serwë dachte an die Nacht bei dem verfallenen Heiligtum, als Achamian einen Blitz zu den Sternen geschickt hatte, und schüttelte den Kopf. Er war zu traurig, um Angst zu machen.
»Wenn das hier vorbei ist, wirst du Angst vor ihm haben«, sagte Esmenet.
»Er hat uns einen Beweis bringen wollen«, johlte Xinemus, »und kommt mit Spielzeug zurück!«
»Das ist kein Spielzeug«, brummte Achamian verärgert.
»Stimmt«, sagte Kellhus ernst. »Es ist irgendein Hexenwerk. Ich sehe das Mal.«
Achamian sah den Dûnyain durchdringend an, sagte aber nichts. Das Feuer knackte und zischte. Der Hexenmeister setzte die Puppe richtig hin und trat zwei Schritte zurück. Vor dem Hintergrund der Dunkelheit und der leuchtenden Lagerfeuer ringsum wirkte er plötzlich weniger wie ein erschöpfter Hexenmeister und mehr wie ein Ordensmann der Mandati. Serwë schauderte.
»Das ist eine Wathi-Puppe, die ich vor einigen Jahren bei einer Sansori-Hexe erstanden habe«, erklärte er. »In ihr ist eine Seele eingeschlossen.«
Xinemus prustete Wein durch die Nase. »Akka«, krächzte er, »ich dulde nicht, dass…«
»Lass mir meinen Willen, Xin, bitte! Kellhus sagt, er gehört zu den Wenigen. Das ist seine einzige Möglichkeit, es zu beweisen, ohne sich um sein Seelenheil zu bringen – oder dich, Xin. Bei mir kommt ohnehin jede Hilfe zu spät.«
»Was soll ich tun?«, fragte Kellhus.
Achamian kniete sich hin und nahm einen Zweig vom Boden. »Ich schreibe einfach zwei Worte in den Staub, und du sagst sie laut. Es ist keine Beschwörungsformel – also trägst du auch kein Mal davon. Niemand wird dich für einen Hexenmeister halten, und du bleibst rein genug, um problemlos mit Chorae hantieren zu können. Du sprichst nur die Chiffre des Artefakts aus… Die Puppe erwacht nur zum Leben, wenn du wirklich zu den Wenigen gehörst.«
»Warum wäre es schlimm, wenn jemand Kellhus als Hexenmeister erkennen würde?«, fragte Dinchases.
»Weil er dann verdammt wäre!«, schrie Xinemus fast.
»Stimmt«, sagte Achamian, »und er wäre schnell tot. Er wäre ein Hexenmeister ohne Orden, ein Zauberer also, und die Orden dulden keine Zauberer.«
Achamian tauschte rasch einen besorgten Blick mit Esmenet. Dann ging er hinüber zu Kellhus. Serwë spürte, dass er dieses Spektakel eigentlich schon bedauerte.
Mit dem Zweig kratzte er schnell eine Zeichenreihe in den Boden zu Kellhus’ Füßen. Serwë nahm an, dass es sich um zwei Worte handelte, aber sie konnte nicht lesen. »Ich hab auf Kûniürisch geschrieben«, sagte er, »um den Übrigen jede Verlegenheit zu ersparen.« Er trat einen Schritt zurück und nickte langsam. Obwohl er nach all den Wochen in der Sonne braungebrannt war, wirkte er grau. »Also sag sie«, befahl er.
Mit ernster Miene taxierte Kellhus die Worte einen Moment lang und sagte dann mit klarer Stimme: »Skuni
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