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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Menschen zu stammen, sondern von ganz woanders her…
    Und Martemus begriff.
    Ich sitze in Gegenwart Gottes.
    Dieser Gedanke entsetzte und entzückte ihn zugleich.
    Diese Vorstellung ließ seine Augen tränen und seine Haut sich taub anfühlen.
    Die Gegenwart Gottes.
    Endlich war er zur Ruhe gekommen, war umfangen von dem, was die Welt umfing, und erkannte, wie tief er gefallen war. Und er hatte das Gefühl, zum ersten Mal wahre Gegenwart zu spüren, als könnte nur die Realpräsenz Gottes einen Menschen ganz bei sich und im Jetzt ankommen lassen.
    Im Hier und Jetzt.
    »Kniet mit mir nieder«, sagte eine Stimme aus dem Nirgendwo. »Nehmt meine Hand und fürchtet euch nicht. Werft euch ins Feuer!«
    Die Menge schrie auf und Martemus mit ihr. Einige weinten freimütig, und Martemus weinte mit ihnen. Andere streckten die Hand aus, als wollten sie nach Kellhus greifen. Auch Martemus hob zwei Finger und hielt sie so, dass es aussah, als streichelte er das weit entfernte Gesicht des Dûnyain.
    Wie lange Prinz Kellhus sprach, konnte er nicht sagen. Doch er redete über vieles, und welchem Thema er sich auch widmete: Die Welt war verwandelt. »Was bedeutet es, Krieger zu sein? Ist Krieg nicht Feuer? Ist er nicht die eigentliche Wahrheit unserer Schwäche?«
    Er brachte ihnen sogar ein Lied bei, das er, wie er sagte, geträumt hatte. Und dieses Lied bewegte sie, wie nur ein Lied aus dem Jenseits sie bewegen konnte – ein Lied also, das die Götter selbst sangen. Bis ans Ende seiner Tage würde Martemus beim Aufwachen dieses Lied hören.
    Und danach, als die Menge sich um den Prinzen drängte, auf die Knie fiel und behutsam den Saum seines weißen Umhangs küsste, hieß er sie aufstehen und erinnerte sie daran, dass er nur ein Mensch wie alle anderen sei. Und zuletzt, als das Gedrängel auch Martemus zu ihm gespült hatte, betrachtete er den General sanft aus übernatürlich blauen Augen, ohne seinen goldenen Brustharnisch, seinen blauen Mantel oder seine Rangabzeichen auch nur wahrzunehmen.
    »Ich habe auf Euch gewartet, General.«
    Der aufgeregte Lärm ringsum rückte fern, als wären sie beide plötzlich unter Wasser. Martemus konnte Kellhus nur sprachlos, unendlich beeindruckt und zutiefst dankbar anstarren.
    »Conphas hat Euch geschickt. Aber das ist jetzt anders geworden, oder?«
    Und Martemus fühlte sich wie ein Kind vor dem Vater: Er konnte nicht lügen, aber die Wahrheit konnte er auch nicht sagen.
    Der Prophet nickte, als hätte der General ihm geantwortet. »Ich frage mich, was aus Eurer Loyalität wird.«
    Plötzlich ein Aufschrei. Martemus sah, wie der Prophet den Kopf wandte und einem Mann, in dessen Faust ein langes silbernes Messer steckte, in den Arm griff.
    Ein Attentatsversuch, dachte der General unbesorgt.
    Man konnte den Mann vor ihm nicht töten. Das wusste er jetzt.
    Die Menge schlug den Attentäter nieder. Martemus sah kurz ein blutiges, schreiendes Gesicht.
    Der Prophet wandte sich ihm wieder zu.
    »Ich will Euer Herz nicht spalten, General«, sagte er. »Kommt wieder, wenn Ihr bereit dafür seid.«
     
     
    »Ich warne Euch, Proyas – wir müssen etwas gegen diesen Mann unternehmen.«
    Ikurei Conphas hatte das etwas leidenschaftlicher gesagt als beabsichtigt. Aber die Zeiten waren ja auch leidenschaftlich.
    Der Prinz von Conriya lehnte sich im Klappstuhl zurück, sah ihn verbindlich an und zupfte geistesabwesend an seinem gestutzten Bart. »Was schlagt Ihr vor?«
    Na endlich.
    »Dass wir einen Großrat der Hohen und Niederen Herren einberufen.«
    »Und?«
    »Dass wir Anklagen gegen ihn erheben.«
    Proyas runzelte die Stirn. »Was denn für Anklagen?«
    »Wegen Verstößen gegen die Lehre des Stoßzahns.«
    »Verstehe. Und was genau wollt Ihr Prinz Kellhus vorwerfen?«
    »Das Schüren von Blasphemie und angemaßtes Prophetentum.«
    Proyas nickte. »Ihr wollt ihn also anklagen, ein falscher Prophet zu sein«, sagte er mit schneidendem Hohn.
    Conphas lachte ungläubig. Er hatte mal – es schien sehr lange her – gedacht, Proyas und er würden im Laufe des Heiligen Kriegs echte und berühmte Freunde. Sie sahen gut aus, waren ungefähr gleichaltrig und wurden in ihrer jeweiligen Heimat für Wunderknaben gehalten, die Ähnliches versprachen – jedenfalls, bis er die Scylvendi in der Schlacht am Kiyuth vernichtet hatte.
    Jetzt gibt es niemanden mehr, der mir ebenbürtig ist, dachte Ikurei Conphas.
    »Welche Anklage könnte passender sein?«, fragte er dann.
    »Ich bin bereit zu diskutieren, wie man

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