Der Prinz von Atrithau
genug dafür. Auch wenn der Dûnyain sich hinsichtlich der Theoreme vertan hatte, blieben die Axiome doch unangetastet. Der Logos war komplizierter geworden – mehr nicht. Nach dem, was er herausbekommen hatte, folgte sogar die Hexenkunst Gesetzen.
»Und welcher Zweck wäre das?«, fragte Kellhus.
Achamian zögerte. Obgleich er völlig ruhig blieb, verrieten seine Miene, sein Geruch und sein Puls helle Panik. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen…
»Welcher Zweck? Ich denke, du bist gekommen, um… die Welt zu retten.«
Immer lief es darauf hinaus. Immer derselbe Irrglaube.
»Dann bin also ich die Wahrheit, die deinen Fanatismus rechtfertigt?«, fragte Kellhus ungläubig.
Achamian konnte nur ängstlich gucken, und der Dûnyain analysierte genau, wie die Folgerungen durch seine Seele teils schossen, teils schlichen, bis nur noch ein einziger unumstößlicher Schluss übrig blieb.
Alles… Aus eigenem Antrieb muss er alles liefern.
Sogar die Gnosis.
Wie mächtig bist du geworden, Vater?
Unvermittelt stand Achamian auf und stieg die gewaltige Treppe hinunter. Er nahm jede Stufe mit müder Bedachtsamkeit, als würde er sie zählen. Der Wind zerzauste ihm das schwarz glänzende Haar. Als Kellhus ihm nachrief, sagte er nur: »Ich habe die Höhen satt.«
Der Dûnyain hatte gewusst, dass er genau diese Antwort geben würde.
General Martemus hatte sich immer als Praktiker gesehen. Er war jemand, der sich seine Aufgaben stets klar vor Augen führte und sich dann systematisch daranmachte, seine Ziele zu erreichen. Kein Geburtsrecht und keine verhätschelte Kindheit trübten sein Urteilsvermögen. Er sah, urteilte und handelte – so einfach war das. Seinen jungen Offizieren sagte er gern, die Welt sei gar nicht so kompliziert, solange man einen klaren Kopf behalte und strikt praktisch denke.
Sehen. Urteilen. Handeln.
Er hatte nach dieser Philosophie gelebt. Wie leicht aber war sie zunichte geworden!
Die Aufgabe war ihm anfangs leicht, wenn auch etwas ungewöhnlich erschienen. Er sollte Prinz Anasûrimbor Kellhus von Atrithau beobachten und versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen. Falls der Dunyain, wie Conphas vermutete, zu verräterischen Zwecken Anhänger um sich scharte, war ein General der Nansur, der in einer Glaubenskrise steckte, für ihn sicher eine enorme Verlockung.
Dem war aber nicht so. Martemus hatte mindestens zwölf der Imprompta genannten Abendvorträge besucht, ehe Kellhus auch nur das Wort an ihn richtete.
Natürlich hatte Conphas – der Fehler stets bei seinen Untergebenen vermutete, statt die eigenen Überlegungen in Zweifel zu ziehen – Martemus dafür verantwortlich gemacht. Kellhus musste schließlich Cishaurim sein, da er mit Skeaös in Verbindung gestanden hatte, der sicher Cishaurim war. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, dass Kellhus den Propheten spielte – jedenfalls nicht nach dem Vorfall mit Saubon. Und der Prinz von Atrithau konnte unmöglich wissen, dass der General nur ein Köder war, da Conphas allein Martemus von seinem Plan erzählt hatte. Also hatte der General versagt – auch wenn er zu starrsinnig war, das einzusehen.
Doch das war nur eine von zahllosen kleinen Ungerechtigkeiten, die Conphas ihm über die Jahre zugefügt hatte. Auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Martemus beleidigt war, war er doch viel zu beschäftigt, um Angst zu verspüren.
Der General wusste nicht, wann genau es passiert war, aber irgendwann auf dem langen Zug durch Gedea hatte er (so praktisch er auch war) zu glauben aufgehört, Kellhus spiele den Propheten. Das bedeutete nicht, dass er ihn nun für einen Propheten hielt – in dieser Hinsicht blieb er dem praktischen Denken treu –, sondern nur, dass er nicht länger wusste, was er glaubte.
Aber bald würde er es wissen, und diese Aussicht war ihm gar nicht angenehm. Martemus war nämlich ein sehr loyaler Mann und wusste seine Stellung als Adjutant von Ikurei Conphas zu schätzen. Er dachte oft, er sei richtiggehend dazu berufen, dem sprunghaften Oberbefehlshaber zu dienen und seine unstrittige Brillanz mit nüchterneren und verlässlicheren Beobachtungen auszugleichen. Das Wunderkind muss an die praktischen Dinge des Lebens erinnert werden, dachte er oft. Es ging nicht ohne Salz – wie köstlich die Gewürze auch sein mochten.
Falls Kellhus aber tatsächlich ein Prophet war, was wurde dann aus seiner Loyalität?
Darüber dachte Martemus nach, als er inmitten Tausender saß, die sich versammelt hatten und schwitzend darauf
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