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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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glänzten in der Morgensonne. So klein, dass sie mit zwei Fingern zu verdecken gewesen wäre, erhob sich die Festung Anwurat mit ihren safrangelb geschmückten Mauern und Türmen im Mittelgrund.
    Die Luft vibrierte von unzähligen Rufen. Der schwache Klang ferner Schlachthörner ging im schrillen Schmettern näherer Hörner unter. Cnaiür atmete tief ein und roch Meer, Wüste und Sumpf, doch nichts von dem absurden Spektakel vor ihm. Wenn ich die Augen schlösse und mir die Ohren zuhielte, dachte er, könnte ich tun, als sei ich ganz allein…
    Ich bin ein Scylvendi!
    Er saß ab, warf dem Dûnyain verächtlich die Zügel zu und musterte das Schlachtfeld, um Schwachpunkte in der Aufstellung der Inrithi zu entdecken. Waren ihre Truppen weiter als eine Meile entfernt, so waren die Standarten kaum mehr zu erkennen, und Cnaiür konnte nur vermuten, dass die Hohen Herren ihre Soldaten wie besprochen hatten antreten lassen. Besonders die Ainoni ganz im Süden waren nur als dunkle Felder an den Ausläufern des Küstengebirges zu erkennen.
    Er kniff die Augen zusammen und erstarrte, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass Kellhus neben ihm stand. Der Dûnyain trug einen weißen Umhang, der nach Art der Leute aus Conriya im Kreuz zu einem Schwalbenschwanz gebunden war, so dass Taille und Beine frei blieben. Darunter trug er einen Brustpanzer der Kianene, den er wohl bei Mengedda erplündert hatte, und den Faltenkilt eines Ritters aus Conriya. Sein Helm stammte aus Nansur und hatte weder Visier noch Nasenschutz. Wie immer sah der lange Knauf seines Schwerts hinter der linken Schulter hervor. Zwei primitiv wirkende Messer, deren Griffe mit Tieremblemen der Thunyeri verziert waren, steckten in seinem Ledergürtel. In Höhe der rechten Brust hatte ihm jemand den roten Stoßzahn des Heiligen Kriegs auf den Umhang gestickt.
    Kellhus stand so nah bei ihm, dass Cnaiür die Haut prickelte.
    Auf welchen Handel hatte er sich bloß eingelassen?
    Nie hatte Cnaiür eine so furchtbare Nacht erlebt wie diese. »Warum?«, hatte er übers Meneanor-Meer gebrüllt. Warum hatte er sich bereit erklärt, dem Dûnyain beizubringen, wie man Krieg führt? Um Serwës willen? Um eines Flittchens willen, das er am Rand der Steppe aufgelesen hatte?
    Für nichts?
    Er hatte in den letzten Monaten vieles getauscht. Ehre gegen das Versprechen der Vergeltung. Leder gegen weibische Seide. Sein Zelt gegen den Pavillon von Prinz Proyas. Eine Schar ungewaschener Utemot gegen das hunderttausendköpfige Heer der Inrithi…
    Jetzt bin ich Schlachtmeister… König der Stämme!
    Nicht, dass ihn das völlig kalt gelassen hätte, im Gegenteil. Allein dieses Heer! Vom Fluss bis zu den Hügeln erstreckte es sich über bald sieben Meilen, zumal in die Tiefe gestaffelt! Die Scylvendi hätten so ein Heer nie auf die Beine stellen können – auch wenn sie alle Kämpfer mobilisiert und jeden Jungen auf ein Pferd gesetzt hätten. Und diese Streitmacht befehligte er, Cnaiür von Skiötha, der Pferden den Willen und Menschen das Leben nimmt. Fremdländische Prinzen, Grafen und Pfalzgrafen, Tausende von Lehnsmännern und Baronen und sogar Ikurei Conphas, der verhasste Sieger vom Kiyuth, handelten nach seiner Weisung!
    Was mochten die Scylvendi über ihn denken? Würden sie seine Position als ruhmreich bezeichnen oder ihn verfluchen und ihm die Qualen des Alters und der Gebrechlichkeit an den Hals wünschen?
    Aber war nicht jeder Krieg und jede Schlacht heilig? War der Sieg nicht mit den Gerechten? Wenn er die Fanim vernichtete und sie mit dem Stiefelabsatz in den Staub trat, was würden die Scylvendi dann von seinem Tausch halten? Würden sie endlich sagen: »Dieser blutige Schlächter ist wirklich einer von uns?«
    Oder würden sie flüstern, wie sie immer geflüstert, und lachen, wie sie immer gelacht hatten? Gut möglich, dass sie einmal mehr riefen: »Dein Name ist unsere Schande!«
    Und wenn er ihnen die Inrithi zum Geschenk machte? Wenn er sie und nicht die Fanim zerstörte und mit dem Kopf von Ikurei Conphas in die heimische Steppe zurückgeritten käme?
    »Scylvendi«, sagte Moënghus von der Seite.
    Diese Stimme!
    Cnaiür sah Kellhus an und blinzelte.
    Ich hätte schwören können, Moënghus habe mich angesprochen!
    Skauras ist unser Feind – nicht Conphas!, stand überdeutlich im Blick des Dûnyain.
    Cnaiür wandte sich den erwartungsvollen Inrithi hinter ihm zu. Er hörte sie murmeln. Bis auf Proyas hatten alle Hohen Herren Vertreter geschickt, und Cnaiür vermutete,

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